Soweit die Reifen tragen
Kurz vor dem Ziel
So ein Schei**wetter! Gestern Nacht sind wir schon im strömenden Regen auf die Fähre gefahren und heute Morgen rollen wir schon wieder im Regenkombi vom Schiff. Es ist noch dunkel und die Himmelsschleusen sind voll geöffnet. Zum Glück haben die Zöllner Mitleid und fertigen uns sehr schnell ab. An der Hafenausfahrt halten wir an, um am Geldautomat marokkanische Dirham zu ziehen. Als ich absteige, stehe ich in einer fast 30 cm tiefen Pfütze. Dann fällt mir im Eifer des Gefechts meine Geheimzahl nicht mehr ein und Vroni fallen die Handschuhe ins Wasser. Ich überlege kurz, wann die Fähre wieder zurück fährt, doch so schnell geben wir nicht auf. Jetzt erst recht. Der Automat spuckt das Geld aus, wir packen uns wieder gut ein und arbeiten uns durch die Fluten weiter. Halb Nador steht unter Wasser, die Pfützen sind so tief, dass der Motorschutz unserer Maschinen kleine Flutwellen vor sich her schiebt. Außerhalb der Ortschaft lassen zwar die tiefen Pfützen nach, aber von oben kommt noch reichlich Wasser nach. Nach einer Stunde sind wir trotz Regenkombi und Gore-Tex Anzügen bis auf die Haut nass. Ab und zu ist die Straße mit einer schmutzig braunen Brühe überspült, die wir langsam durchrollen. Am Straßenrand stehen barfüßige Marokkaner im Wasser und starren uns nach. Nach guten 300 Kilometern erreichen wir Missour. Der Regen hat endlich aufgehört. An einer Tankstelle füllen wir Kraftstoff nach und hängen unsere Klamotten zum Trocknen auf die Stühle des zugehörigen Cafés. Der Wirt verwöhnt uns mit heißem Café au Lait, Käsebroten und Kuchen. Für die Weiterfahrt verzichte ich optimistisch auf die Gummihaut, Vroni zieht sich den Regenkombi lieber wieder an. In Midelt nehmen wir uns ein Zimmer. Wir spannen unsere Wäscheleine auf und hängen unsere durchnässte Kleidung zum trocknen auf. Die besonders feuchten Sachen kommen auf den elektrischen Heizkörper. Nach einem heißen Bad werden wir vom Hotelpersonal vor den lodernden Kamin gesetzt und schlürfen heißen Thé á la Menthe. Dazu bekommen wir Weihnachtsplätzchen (heute ist Heiligabend) und Erdnüsse gereicht. Nach dem Essen erhalten wir von Luigi per SMS die Wetterprognosen für Marokko. Demnach soll es erst übermorgen wieder besser werden, inshallah ...
Trotz der eigentlich schlechten Vorhersagen meint es das Wetter gut mit uns. Strahlender Sonnenschein und wenige Wolken begleiten uns zum 1900 Meter hohen Col de Taghlamt hinauf und weiter Richtung Süden. Kurz vor dem Gorges du Ziz biegen wir nach Osten auf die Piste nach Gourrama ab. Nach einigen Kilometern entlang eines Oueds kommen wir wieder auf eine Teerstraße. Hinter Gourrama nehmen wir den Pistenabzweig nach Süden, der uns ins Tal des Oued Guir bringt. Diese Strecke bin ich zwar schon zweimal gefahren, aber sie ist so schön, dass ich sie Vroni unbedingt zeigen will. Um zur Schotterstrecke parallel zum Oued Guir zu gelangen, müssen wir zunächst ein ca. 100 Meter breites steiniges Oued durchqueren, das uns mit tiefen Gräben und großen Steinen vergeblich aufzuhalten versucht. Nachdem diese Hürde geschafft ist, rollen wir gemütlich durch das sonnendurchflutete Tal. Auf dem Weg liegen drei Dörfer, in denen uns die Kinder zuwinken und einige Jugendliche per Handzeichen nach Zigaretten fragen. Aber bei uns als Nichtraucher sind sie an der falschen Adresse. Wir erreichen die gut ausgebaute Straße von Boudnib nach Er Rachidia. Es liegen zwar einige Zentimeter Rollsplitt auf der Strecke, doch die lassen sich auf der breiten Straße ohne Verkehr gut mit 120 km/h überwinden. Noch vor Er Rachidia biegen wir wieder nach Süden ab. Die Landkarte im GPS stimmt hier überhaupt nicht mit dem wirklichen Straßenverlauf überein. Nach dieser hätten wir bis Er Rachidia fahren müssen. In Erfoud setzen wir uns in ein Straßencafé und bestellen Salade marocaine und Thé á la Menthe. Hier werden wir von Martin aus der Schweiz angesprochen, der alleine mit seinem Fahrrad in Marokko unterwegs ist. Er setzt sich zu uns und wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Zufällig will er ins gleiche Hotel wie wir und wir verabreden uns für später zum gemeinsamen Abendessen. Beim Essen erzählt er uns von seinen Reisen durch Südamerika und alles mit dem Fahrrad, Respekt.
Nach dem Frühstück, wieder gemeinsam mit Martin, beschließen wir den Erg Chebbi auszulassen. Zum einen waren wir schon mehrfach dort und zum anderen wissen wir noch nicht genau, wie viel Zeit uns die Fahrt nach Dakhla wirklich kosten wird. Wir verlassen Erfoud Richtung Süden und schwenken kurz vor Rissani nach Westen ab. Die Straße über Alnif nach Tazzarine ist in der Karte breiter eingezeichnet, als sie in Natura vorhanden ist. Ein Auto und ein Motorrad passen gerade so aneinander vorbei. Ein entgegenkommender LKW oder Bus muss schon auf den unbefestigten Randstreifen ausweichen. Anfangs müssen wir auch einige Sandverwehungen überwinden, aber nach 30 Kilometern ist die Straße vollkommen frei von Sandhaufen in jeglicher Form. Nach einer Kaffeepause in Tazzarine setzen wir unseren Weg fort. In Nekob treffen wir auf zwei Spanier, die auch mit Motorrädern unterwegs sind. Leider können sie kaum englisch, so dass eine Unterhaltung kaum möglich ist. Bald darauf erreichen wir das Vallée du Drâa und biegen nach Süden ab. Nach knapp 70 Kilometern erreichen wir Zagora. Ich bin echt verwundert, wie groß dieser Ort mittlerweile geworden ist. In den beiden letzten Jahren bin ich jeweils von Süden her in die Stadt gekommen und habe sie auch in dieser Richtung wieder verlassen, so dass ich die Ausdehnung nach Norden hin nicht mitbekommen habe. Bei einem Straßenrestaurant stehen zwei Maschinen. Hier halten wir auch an und treffen auf einen Spanier mit einer Africa Twin und einen Engländer mit einer neuen XR 650. Wir essen gemeinsam und erzählen uns gegenseitig, woher wir kommen, wohin wir noch wollen und tauschen Erfahrungen zu bestimmten Pisten aus. Nach dem Essen beziehen wir unser übliches Hotel. Nach dem Duschen spazieren wir durch die Stadt. Die Händler sind hier sehr aufdringlich und gehen uns auf den Geist. Erst beim Friseur haben wir etwas Ruhe, wo ich mich rasieren lasse. Nach der Rasur suchen wir das Internetcafé auf und kontaktieren die Heimat. In einer ruhigeren Ecke, etwas entfernt von den Händlern mit Touristennepp lassen wir uns dann den "Whisky marocaine" schmecken, wie der Pfefferminztee hier auch genannt wird. Das Abendessen nehmen wir pauschaltouriemäßig in einem Beduinenzelt des Hotels ein. Der "Höhepunkt" ist der Auftritt von einer dreiköpfigen Berbertruppe, die uns mit Trommeln und Geige das Dinner verschönern sollen. Zuerst spielen sie auf einem festen Platz in der Zeltmitte auf, dann springen sie von Tisch zu Tisch und spielen jedem eine kurze Weile etwas vor. Zum Glück ziehen sie dann in eine andere Ecke des Hotelgartens weiter und wir können in Ruhe zu Ende essen ;-).
Von Zagora aus fahren wir zuerst wieder zurück nach Norden. In Agdz angekommen, trinken wir wieder einen Tee und biegen dann in westlicher Richtung auf eine Piste ab. Das heißt, vor zwei Jahren war da noch eine Piste. Heute ist da eine neue Straße, zumindest auf den ersten ca. 8 Kilometern. Erst hier fängt dann die eigentliche Piste wieder an. Der steinige Weg führt uns auf einer Länge von ca. 50 Kilometern über eine Hochebene und an zwei Dörfern vorbei bis zu den Minen von Bou Azzer. Hier erreichen wir ein schmales Asphaltband, das sich durch eine schöne Schlucht schlängelt. Während einer kurzen Pause am Straßenrand, fahren ein Geländewagen und ein Lkw des Paris-Dakar Organisationsteams vorbei, sie hupen und winken uns zu. Wahrscheinlich kontrollieren sie die noch folgenden Etappen und bereiten die CPs vor. In Foum Zguid essen wir zu Mittag, Spiegeleier und frisches Brot. Der für uns übliche Salat zur Mittagszeit ist gerade nicht vorrätig. Frisch gestärkt nehmen wir die knapp hundert Kilometer nach Tata in Angriff. Die Landschaft ist zwar nicht mehr ganz so spektakulär wie zuvor in der Schlucht, jedoch auch nicht ohne Reiz. Links ziehen sich schwarze und graue Felsmassive entlang, dahinter verstecken sich kleine und mittlere Sanddünen. Auf der rechten Seite breitet sich eine schwarze, mit Tamarisken bewachsene Ebene aus, die bis zu den Bergen am Horizont reicht. Hin und wieder sehen wir Kamel-, Schaf- und Ziegenherden am Straßenrand nach dem spärlichen Futter suchen. Etwas weiter weg vom Teerband stehen vereinzelt Beduinenzelte, wahrscheinlich die Unterkunft der Hirten. In Tata nehmen wir uns ein Zimmer im Hotel Renaissance. Hier haben wir früher schon ein paar Mal übernachtet. Die Motorräder stehen sicher in einem Zimmer im Haus gegenüber. Da wir recht früh hier angekommen sind, gehen wir im Ort spazieren. Die Menschen sind hier nicht so aufdringlich, wie in manchen anderen Teilen Marokkos. Selbst auf dem kleinen Markt werden wir nicht angesprochen, um irgendwas zu kaufen, wir können uns in Ruhe umsehen. Im Lokal vor dem Campingplatz trinken wir leckeren frisch gepressten Orangensaft. Im Hintergrund läuft zur Abwechslung mal keine orientalische Musik sondern die mehr oder weniger aktuellen Hits der westlichen Charts. Das Abendessen im Hotel ist seit Jahren das gleiche, als Vorspeise eine Harira (Suppe), als Hauptgang Tajine de Poulet au Citron und zum Nachtisch Orangen und Bananen.
Am Morgen haben wir fix und fertig gepackt und sind abfahrbereit. Bis auf den Portier ist aber sonst niemand vom Hotelpersonal da. Wir haben keine Lust eine unbestimmte Zeit auf das Frühstück zu warten, zumal wir heute eine längere Strecke mit Pistenabschnitten vor uns haben, also bezahlen wir und rauschen weiter. Am Ortsausgang von Tata entdecken wir ein großes Schild, auf dem ganz unten steht, dass es bis Dakhla noch 1247 Kilometer sind. So eine hohe Entfernungsangabe baut nicht gerade auf, reizt aber zur Bewältigung derselben. Gleich hinter Akka suchen wir den Einstieg in ein knapp vierzig Kilometer langes Pistenstück. Lt. Karte und von der Logik her müsste sie spätestens am gegenüber liegenden Berghang beginnen. Wir probieren über einen kleinen steinigen Weg zum Berghang zu gelangen. Im Gegensatz zu mir, findet Vroni immer eine kleine Umfahrung für die teilweise mit Handball großen Steinen gepflasterten Abschnitte. Ich prügele die schwere Twin immer mitten durch, weil ich mehr mit dem Suchen des Einstiegs beschäftigt bin, als mit der Erkundung des vor mir liegenden Weges. Aber außer einem halb verwesten Kalb finden wir nichts. Nun müssen wir die gleiche Strecke wieder retour, diesmal wähle ich aber auch die besser fahrbaren Abschnitte. Ok, dann soll es eben nicht sein. Wir lassen die weitere Sucherei sein und fahren dann doch auf der Straße weiter. Kurz vor Aït-Ouabelli stoßen wir dann auf das Ende der gesuchten Piste. Ich merke mir die Stelle, falls wir auf der Rückfahrt hier noch mal vorbei kommen, rollen wir die Schotterbahn halt von hinten auf und finden dann vielleicht den richten Einstieg bei Akka. An der Kreuzung zwischen Foum El Hassane (Fam El Hisn) und Icht ist wieder eine Polizeikontrolle. Hier werden wieder sämtliche Daten aus dem Pass in ein Buch übertragen, zusätzlich unsere Berufe und die Namen der Eltern. Die Ordnungshüter sind sehr nett und freundlich und zum ein oder anderen Schwätzchen aufgelegt. Einer versucht sich sogar in Deutsch und fragt uns, ob er alles richtig ausgesprochen hat. "Perfekt", antworte ich und meine es sogar ernst. Auf der weiteren Strecke neigt sich Vronis Spritvorrat dem Ende zu und keine Tankstelle kommt in Sicht. In meinem Tank ist zwar noch mehr als genug drin, aber ich bin zu faul das Werkzeug auszupacken und eine Umfüllaktion zu starten. Zum Glück erreichen wir bald darauf eine Tankstelle. Da der Strom ausgefallen ist, muss der Tankwart unsere Tanks mit der Handpumpe befüllen. Bei insgesamt fünfundvierzig Litern eine schweißtreibende Arbeit. Erst in Tagmoute kommen wir dann endlich zu unserem Frühstück oder, um diese Zeit besser als Brunch bezeichnet. Wir bestellen Café au Lait und einen schönen Salade Marocaine. Aber die Enttäuschung ist groß, als sich die Salatmenge als etwas besserer Esslöffel gehackter Tomaten herausstellt.
Nach dem mageren Mahl setzen wir den Weg in südwestlicher Richtung auf einer Piste fort. Trotz GPS kommen wir von der Hauptpiste ab und fahren auf einer Nebenstrecke weiter. Beide Routen sind aber auf der elektronischen Karte des Navigationsapparates verzeichnet und man sieht, dass sie irgendwann wieder zusammen führen. Der Untergrund ist steinig, aber manchmal stellt sich uns ein Sandfeld entgegen, das uns aber nicht aufhalten kann. Zweimal müssen wir ein Oued durchqueren. Das erste ist eher ein tiefer sandiger Graben, das zweite eine breite steinige Ebene. Danach wechselt der Untergrund von Stein auf mehr oder weniger tiefen Sand, der teilweise verspurt ist. Nicht sehr angenehm für unsere schweren Maschinen. Etwa einen Kilometer nördlich von uns, sehe ich ein Auto parallel zu uns fahren. Während Vroni wartet, fahre ich querfeldein zu dieser Stelle, um zu sehen ob die dortige Hauptpiste von besserer Qualität ist. Der Sand ist sehr weich und tief und ich muss sehr viel Kraft aufwenden, damit ich die Maschine einigermaßen in der Spur halten kann. Endlich an der Hauptpiste angelangt, muss ich erst mal verschnaufen. Der Untergrund ist fester als auf der Nebenpiste, aber teilweise auch mit verspurtem Sand überzogen. Insgesamt macht diese Strecke aber einen besseren Eindruck. Ich gehe zwanzig Meter zurück, um Vroni besser sehen zu können. Dabei stelle ich fest, dass der Sand an dieser Stelle sehr fest ist, die Quälerei zuvor hätte ich mir also leicht sparen können, wenn ich mich besser umgesehen hätte. Ich winke Vroni zu, dass sie an dieser Stelle zu mir fahren soll. Sie dreht einen Halbkreis um die weichen Stellen und arbeitet sich dann zwischen den kleinen Sträuchern hindurch auf die Hauptpiste zu. Jetzt brauchen wir erst mal einige große Schlucke aus dem Wasserkanister. Die Temperaturen und die "Arbeit" auf der Piste bringen uns ganz schön ins Schwitzen. Bald darauf erreichen wir den Ort Kasbah Aït-Moussa-ou-Daout, ein langer Name für so ein kleines Dorf. Die Zufahrt erfolgt durch ein tiefes Oued. Hier werden wir von einer Horde schreiender Kinder empfangen, die nach Kugelschreibern, Bonbons und Dirhams verlangen. Wir tuckern langsam durch den Ort und suchen auf der anderen Seite nach dem weiteren Pistenverlauf. Dabei kommen wir immer wieder an den steil abfallenden Rand eines tiefen Oueds, das uns so den Weg versperrt. Die bettelnde Kinderbande haben wir dabei ständig um uns herum. Schließlich müssen wir wieder durch das Dorf zurück zum Qued. Von dieser Seite aus sieht man besser, dass wir gar nicht ins Dorf gemusst hätten, sondern ein Stück weit in dem ausgetrockneten Flussbett entlang fahren müssen und es nach einer Biegung nach Norden hin wieder verlassen können. Erst hier werden wir die schreiende Kinderschar wieder los. Nach einem großen Bogen um einen Bergausläufer herum, queren wir abermals ein Oued und holpern dann auf einer steinigen aber halbwegs passablen Piste weiter. Vor einer großen Baustelle, was immer da auch gebaut werden soll, müssen wir nochmals ein Oued und einige kleinere Geröllfelder überwinden. Dann führt uns ein anständiger Schotterweg in einem weiten Bogen auf die Straße nach Fask, wo wir in einem kleinen Café den Staub der letzten achtzig Kilometer aus der Kehle spülen und uns mit Müsliriegeln stärken.
In Guelmim müssen wir uns durch den starken Verkehr arbeiten. Erheiternd dabei sind einige Leute, die sich als Nikolaus verkleidet haben, allerdings mit orangefarbenem Bart, und uns wild zuwinken. Schließlich biegen wir in eine falsche Straße ab, die uns durch eine Art Slum zum Ortsausgang führt. Die Armut dieser Leute hier zeigt uns wieder, wie viel Glück wir doch haben, in Mitteleuropa in gesicherten Verhältnissen leben zu dürfen. Nun müssen wir uns über eine Piste durch eine Müllhalde den Weg zur Ausfallstraße suchen, auf der wir Guelmim Richtung Tan Tan verlassen. Die Straße führt auf einer Hochebene entlang und ein starker Wind versucht uns ständig nach rechts vom Weg abzubringen. Staub und Sand in der Luft erschweren die Sicht und die feinen Körnchen finden auch immer wieder einen Weg in Auge und Nase, um uns zu ärgern. Erst als das Asphaltband in einer Anzahl Kehren an Höhe verliert, lässt auch endlich der Wind nach. Zwei überdimensionale Kamele bilden ein symbolisches Tor vor der Stadt Tan Tan. Wir durchqueren den Ort und erklimmen den dahinter liegenden Hügel. Von hier oben aus kann man nicht nur den Atlantik am Horizont sehen, nein man kann ihn auch riechen. Letzteres liegt aber daran, weil die Lkws hier oben immer das Wasser des geschmolzenen Eises zur Kühlung der gefangenen Fische ablassen, was die ganze Gegend penetrant nach Fisch riechen lässt. Wir rollen ins Tal hinab und überwinden die letzten fünfundzwanzig, fast kurvenlosen Kilometer bis Tan Tan Plage, das jetzt El Ouatia heißt. In einem von Franzosen geführten Hotel direkt am Strand finden wir Kost und Logis. Unsere Stahlrösser finden im Hinterhof ein sicheres Quartier. Um sie jedoch durch das schmale Tor dort hinein zu bekommen, müssen wir die Koffer abbauen. Nach der Körperpflege und dem obligatorischen Spaziergang durch den Ort, lassen wir uns das Abendessen auf der Strandterrasse servieren. Es ist angenehm warm, so dass wir selbst jetzt, um 21:00 Uhr, im T-Shirt hier draußen sitzen können. Vroni hat sich eine Fischplatte bestellt. Fünf große und mindestens acht kleine bis mittlere Fische drängeln sich auf dem übergroßen Teller. Damit wären selbst vier Leute satt geworden. Auch von meiner Portion Gemüse-Couscous bleibt mindestens die Hälfte übrig. Dafür mache ich brav meine Flasche Wein leer ;-)
Bevor wir nach dem Frühstück starten, warnen uns die Leute des Hotels vor dem starken Wind, der seit den frühen Morgenstunden bläst. Auf der Küstenstraße ist es auch wirklich nicht angenehm zu fahren, da der Wind ablandig weht und viel Sand mit sich trägt. Unsere Tanks sind fast leer, da ich die Tankstelle bei El Ouatia verpasst habe und durch eine falsche Einstellung des Roadbooks die nächste Tankstelle in knapp zwanzig Kilometern Entfernung vermute. In einer Senke führt die Straße über einen Damm. Auf der rechten Seite wirft das Meer seine Wellen an Land, links liegt eine Lagune mit zahlreichen Wasservögeln. Ein paar Fotos möchte ich doch gerne schießen. Meine Twin stelle ich mit der Front gegen den Wind ab, damit sie durch die Böen nicht umgeworfen wird. Vroni schicke ich zweihundert Meter weiter, wo die Straße durch einen Hügel gesprengt wurde. Dort sollte es einigermaßen windgeschützt sein, so dass sie anhalten kann ohne Gefahr zu laufen, vom Wind umgedrückt zu werden. Aus den falsch angenommenen zwanzig Kilometern bis zur Tankstelle werden schließlich gute achtzig und wir wundern uns, dass in den Tank von Vronis Maschine fast die gesamte Kapazität von 24 Litern reinlaufen. Durch den schon seit gestern ständig wehenden Wind, schräg von vorn und von der Seite, ist der Verbrauch auf fast zehn Liter gestiegen. Wir hatten also Glück gerade noch die Tankstelle zu erreichen. Dann stürzen wir uns wieder in die Hölle aus Wind uns Sand. Der Wind hat sich inzwischen zu einem kleinen Sturm gemausert. Zu der schlechten Sicht und den pieksenden Sandkörnern kommen nun auch noch Sandverwehungen auf der Straße, die wir zu überwinden haben. In einer größeren Verwehung hat sich dann ein Lkw festgefahren. Der Beifahrer schaufelt unter dem Auto, der Fahrer lässt die Reifen durchdrehen. Vroni versucht im Schutze einer Düne die Maschine gegen den starken Wind aufrecht zu halten, während ich helfe, den Lastwagen aus dem Sand zu schieben. Gemeinsam bringen wir dann Maschine für Maschine durch den weichen Sandhaufen und machen eine ganz kurze Rast im Windschatten eines Durchbruchs. Die Stadt Tarfaya lassen wir rechts liegen. Bei besserem Wetter wäre ich gerne zum Cap Juby gefahren, wo der berühmte Flieger und Schriftsteller (z. B.: Der kleine Prinz) Antoine de Saint Exupery eine Postflieger-Station geleitet hatte. Doch jetzt wollen wir nur noch bis Laâyoune weiter.
Irgendwann macht die Straße einen Bogen ins Landesinnere. Hier lässt der Wind etwas nach und die Sicht wird etwas besser. Im Ort Tah, der ehemaligen Grenze zur Republik Westsahara, machen wir Rast und nutzen gleich die Gelegenheit einen Salat zu essen. Um diesen müssen uns aber mit zahlreichen Fliegen streiten, die hier überall herumschwirren. Mitten im Ort steht das Denkmal des Grünen Marsches, wegen des Sandsturms verzichte ich lieber auf ein Foto. Der Grüne Marsch wurde 1975 von König Hassan II. inszeniert um gegen die Besetzung großer Teile der Westsahara durch die Spanier zu protestieren und um danach die Westsahara an Marokko anzugliedern, was zu einem langjährigen Krieg gegen die Polisario führte, die eine unabhängige Republik Westsahara wollte. Leider stimmt der Streckenverlauf auf der Landkarte (mehr dem Landesinneren zugewandt) überhaupt nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der Straße (entlang der Küste) überein. So dauert es nicht lange und wir erreichen wieder Meeresnähe und damit wieder alles was zu einem Sandsturm gehört. Ab und zu kommt uns ein Laster entgegen, meiner Meinung nach viel zu schnell für dieses Wetter. Wenn wir aneinander vorbei fahren ist es jedes Mal so, als ob man eine Baggerschaufel voll Sand ins Gesicht geschleudert bekommt. Durch den Aufprall der Windböe mit dem Sand hat man das Gefühl, ein paar Meter zurückgeschleudert zu werden. Danach ist man dann für einige Sekunden erst mal blind. Einen Vorteil hat das Ganze wenigstens, die Polizei- bzw. Militärkontrollstellen sind nicht besetzt, so dass wir nicht ständig anhalten müssen, um unsere Pässe abschreiben zu lassen.
Am Ortseingang von Laâyoune müssen wir dann doch die Ausweise rauswühlen, aber hier stehen wir wenigstens einigermaßen windgeschützt. Wir durchfahren den Ort und suchen den Weg zur Küste. Wir wollen ins fünfundzwanzig Kilometer entfernte Foum El Oued (Laâyoune Plage), weil es dort einige Hotels geben soll. In einer Bungalow-Anlage mieten wir uns ein Häuschen mit großzügiger Raumaufteilung. Hinter einer vor dem Wind schützender Mauer, reinige ich die Luftfilter, kontrolliere die Ketten und sehe auch den Rest der Motorräder durch. Alles was aus Aluminium ist, ist auf der linken, also der windzugewandten Seite, durch das natürliche Sandstrahlgebläse wie neu. Die Felgen, Speichen und Radnaben sind absolut sauber und ohne Kettenschmodder oder sonstigen Ablagerungen. Der Motorschutz und der linke Alukoffer sind sauber mattiert. Zum Glück ist der Lack von Verkleidung und Tank unbeschädigt. Während sich Vroni ausruht, mache ich trotz des Sandsturmes eine Runde durch den Ort und zum Strand hinunter. Alles ist verbarrikadiert und menschenleer. Ein alter Köter trollt sich aus dem Weg, als ich näher komme. So etwas trostloses, was auf das Wetter zurückzuführen ist, habe ich selten gesehen. Hoffentlich sitzen wir hier nicht länger fest. Da wir momentan die einzigen Gäste sind, ist das Restaurant geschlossen, wenigstens kann ich ein paar Flaschen Wasser kaufen. Dank einer spartanischen Küchenzeile in unserem Bungalow, bereiten wir uns unser Abendessen aus den mitgebrachten Fertiggerichten zu. Am späten Abend kommen dann doch noch einige weitere Gäste an. Drei Geländewagen mit französischen Nummernschildern füllen den Platz zwischen den Häuschen aus. Wenigstens sind wir nun nicht ganz alleine ...
Schon um sieben Uhr sitzen wir wieder im Sattel. Es ist noch dunkel, aber der Wind scheint nachgelassen zu haben. Wir fahren zur Hauptstraße zurück und tanken an einer der drei vorhandenen Tankstellen auf. Dann rauschen wir weiter Richtung Süden. Der Sandsturm ist tatsächlich vorbei, dafür ist es etwas diesig und manchmal müssen wir regelrechte Nebelfelder durchfahren. Irgendwann kann sich die Sonne durchsetzen, der Küstenstreifen bleibt aber immer etwas neblig. Irgendwann erreichen wir Boujdour, ein geschäftiges Örtchen mit vielen Cafés und Restaurants. Hier frühstücken wir gemütlich, froh den Sturm überstanden zu haben. Hinter dem Ort zieht sich die Straße monoton dahin. Einzige Abwechslung sind die ab und zu auftauchenden gestrandeten Schiffe am Ufer oder mal eine Kamelherde. Auf der leeren meist schnurgeraden Straße haben wir oft 120 oder 130 Sachen auf der Uhr, es läuft einfach gut. Plötzlich sehe ich im Rückspiegel, wie Vroni in einer Staubwolke verschwindet. Sie ist bei vollem Tempo gestürzt. Ich wende sofort und fahre zurück, das Schlimmste befürchtend. Zum Glück steht sie schon neben der Maschine, als ich hinkomme. Sie blutet im Gesicht und hält sich den rechten Arm, aber ihre einzige Sorge ist ihre Maschine. Nachdem sie einigermaßen in Ordnung scheint, stelle ich das Motorrad wieder auf. Der linke Koffer liegt etwa zwanzig Meter entfernt, der Inhalt in der ganzen Gegen verstreut. Der linke Sturzbügel ist hinten abgerissen und bis unter die Gabel verbogen. Nachdem ich ihn einige Male hin und her gebogen habe, reißt er dann ganz ab. Die Platte des Seitenständers und die linke Fußraste ist verbogen und die Schwinge links hinten eingedrückt. Vorne ist die Verkleidung samt Halterung eingedrückt bzw. verbogen. Der Tank sowie dir rechte Seite sind nicht beschädigt. Ich biege alles einigermaßen wieder zurecht und mache eine Probefahrt. Die Maschine fährt sich gut, Bremsen usw. funktionieren, nur das linke Spiegelglas ist noch gebrochen. Ich befestige den Koffer, an dem sämtliche Schlösser abgerissen sind, mit zwei Spannriemen und sammele den verstreuten Inhalt ein. Nach einer halben Stunde ist technisch einigermaßen alles beisammen und gerichtet. Vroni vermutet, dass ihr Arm gebrochen ist, was machen wir jetzt? Ich schlage vor, ihre Maschine stehen zu lassen und später zu holen. Vroni soll bei mir hintendrauf bis zum Krankenhaus in Dakhla mitfahren. Auf keinen Fall lasse sie ihre Maschine hier stehen, meint sie. Die etwa zweihundertdreißig Kilometer bis Dakhla werde sie schon schaffen, noch sind die Schmerzen auszuhalten. Nach einigem hin und her probieren wir es aus. Vroni setzt sich auf die Maschine, mit der linken Hand kann sie zwar die Kupplung ziehen, aber mit der rechten nicht bremsen und nur bedingt Gas geben. Ich muss ihr den Seitenständer einklappen und den Gang einlegen. Vorsichtig fährt sie an und es scheint zu klappen. Ich fahre hinter ihr her und so zuckeln wir mit einer Geschwindigkeit zwischen dreißig und achtzig Kilometern pro Stunde, je nach dem wie die Hand schmerzt, weiter unserem Ziel zu.
Nun sind die ab und zu entgegenkommenden Lkw und Busse ein echtes Problem. Die Straße ist sehr schmal und die großen, meist sehr schnell fahrenden Fahrzeuge wollen meist nicht auf den geschotterten Seitenstreifen ausweichen. Vroni kann mit ihrer Verletzung nicht ausweichen, da sie die Maschine dann nicht mehr halten kann. Immer wenn vor uns ein größeres Fahrzeug auftaucht, fahre ich vor Vroni und halte stur meine Spur, bis der Gegenverkehr ausweicht oder zumindest bis ganz an den Rand fährt, so dass wir gerade so aneinander vorbei passen. Zum Glück brauchen wir dieses gefährliche Spiel nicht lange durchzuhalten. Irgendwann wird die Straße wieder breiter und wir haben ein Problem weniger. An einer Tankstelle müssen wir die Kraftstoffvorräte nachfüllen. Dazu fahre ich ein Stückchen voraus und halte vor der Zapfsäule an. Vroni kommt hinterher und bremst mit der Fußbremse bis sie fast steht und sie die Füße auf den Boden stellen muss. Die Restbewegung bremse ich dann von vorn, mit den Händen an der Verkleidung ab. Während der Sprit in unsere Tanks läuft, preschen zwei KTM Adventure vorbei. Die Fahrer hupen und winken uns zu. Nach dem Tanken müssen wir wieder die gleiche Anfahrprozedur wie zu Beginn durchführen und weiter geht die beschwerliche Fahrt. Eine Stunde später steht eine der beiden KTMs am Straßenrand, der Fahrer hat es sich auf einem Stein daneben mehr oder weniger gemütlich gemacht. Der Sprit ist ausgegangen, aber sein Kumpel wäre schon zu einer Tankstelle unterwegs, also eigentlich kein Problem. Ich erkläre kurz unsere Situation und dass Vroni ohne mich kaum anhalten kann und düse dann weiter hinter Vroni her. Einige wenige Kilometer weiter, steht auch der zweite KTM-Fahrer ohne Sprit am Straßenrand. Auch ihm erkläre ich kurz was geschehen ist und dass ich nicht viel Zeit habe, um ihm zu helfen. Schnell füllen wir eine leere Wasserflasche mit Benzin aus meinem Tank auf und schon muss ich weiter. Mit Vollgas hetzte ich hinter Vroni her, die in der Zwischenzeit ja weitergerollt ist. Gerade noch vor der nächsten Polizeikontrolle hole ich sie ein und kann sie zielgenau stoppen. Nachdem die Formalitäten erledigt sind, haben wir noch knapp vierzig Kilometer vor uns. "Die werden wir auch noch packen", meint Vroni. Endlich am Ortseingang von Dakhla, erwartet uns die letzte Kontrolle. Hier lassen wir uns auch gleich den Weg zum Krankenhaus erklären. "Kein Problem", erklärt der Polizist, "es liegt direkt an der Hauptstraße!" Doch Vroni möchte zuerst ins Hotel und sich waschen, Staub, Sand und Steine haben sich bis unter ihren Helm und den Motorradanzug geschoben. So suche ich uns zuerst ein schönes Zimmer, stelle die Maschinen vor der Rezeption ab und schleppe unser Gepäck in die Unterkunft.
Nachdem ich Vroni geduscht und vorsichtig frisch angezogen habe, fahren wir mit dem Taxi ins Krankenhaus. Dort wird sie sofort geröntgt, d. h., nachdem wir fünfzig Dirham (ca. DM 10.-) für das Röntgen bezahlt haben. Die Röntgenapparatur ist schon "etwas" älter, es gibt auch keinen Bleischurz, ihre Jahresdosis hat sie damit sicher abbekommen. Als die Bilder fertig sind, die Qualität ist recht mies, meint der Röntgenhelfer, dass nichts gebrochen sein. Vroni fällt ein Stein vom Herzen. Der Arzt jedoch zeigt uns, dass der Knochen doch gebrochen ist. Er schickt uns zu einem Spezialisten ins Militärkrankenhaus, er soll die weitere Behandlung entscheiden. Ab ins Taxi und schon werden wir von einem freundlichen Soldaten an die richtige Stelle geleitet. Der Spezialist erklärt uns, dass die Bruchstellen verschoben sind und sie unter Narkose gerichtet werden müssen. Das geht uns im Moment zu weit. Wir wollen lieber erst den ADAC anrufen. Der Arzt legt einen provisorischen Gips an, damit die Hand ruhiggestellt ist und möglichst schmerzfrei bleibt. Für das Verbandsmaterial und den Gips bezahlen wir dann knapp hundertsiebzig Dirham (ca. DM 35.-). Abends entferne ich den Gips dann wieder, weil die Schmerzen damit unerträglich sind. Vom ADAC bekommen wir in der Zwischenzeit die Nachricht, dass der nächste Flug von Dakhla aus erst in drei Tagen möglich ist! Die erste Nacht übersteht Vroni dank Paracetamol einigermaßen schmerzfrei. Wir bummeln durch Dakhla und sitzen in verschiedenen Cafés, um ein wenig die Leute und das Treiben zu beobachten. Doch meistens bleibt Vroni im Bett, wo sie ihren Arm mit Kissen in der richtigen Lage halten kann und die Schmerzen so in Grenzen hält. Den Silvesterabend verbringen wir im Restaurant Samarkand, dass recht schön am Meer gelegen ist - links und rechts daneben darf man aber nicht hinschauen ... Zufällig kommen auch die beiden KTM-Fahrer aus Österreich dazu, die bis nach Dakar weiterfahren wollen, sowie eine Schwedin, die mit dem Motorrad schon ganz Afrika alleine durchquert hat. So können wir während des Essens interessante Geschichten austauschen. Roland berichtet unter anderem, dass ihm in Dakhla seine Handschuhe gestohlen wurden. Da ich drei Paar dabei habe, verkaufe ich ihm mein drittes ungebrauchtes Paar, damit er nicht ungeschützt weiterfahren muss. Pünktlich zum Jahreswechsel in Deutschland sind wir wieder auf unserem Zimmer und stoßen mit einem Pikkolo zum ersten Mal aufs neue Jahr an. Den zweiten Pikkolo köpfen wir dann zum Jahreswechsel nach marokkanischer Zeit, eine Stunde später.
Am nächsten Tag fahre ich zur Südspitze der Halbinsel. Gleich hinter der Stadt beginnt eine kleine Piste, der ich soweit folge, bis es wirklich nicht mehr weitergeht. Nun habe ich von drei Seiten her das Meer um mich und im Rücken Dakhla, eigentlich traumhaft, wenn der Unfall nicht gewesen wäre. Das Handy zeigt selbst hier noch vollen Empfang und ich rufe Jürgen (Luigi) an, um von unserem Missgeschick zu erzählen und mir ein wenig die Seele zu erleichtern. Das Gespräch hat gut getan, etwas erleichtert fahre ich nun in den Norden von Dakhla, wo es ein paar interessante Buchten und eine kleine Steilküste gibt. Fast den ganzen Tag bin ich unterwegs und kann mich gar nicht satt sehen. Erst Abends bin ich wieder im Hotel um mein Mädchen zu pflegen und mit ihr zum Essen auszugehen.
Heute ist Vronis letzter Tag in Dakhla. Nach dem Frühstück teilen wir unsere Klamotten und Ausrüstungsgegenstände auf. Eine leichte Tasche mit dem Nötigsten für Vroni und natürlich ein paar warme Sachen. Denn im Gegensatz zu den fast dreißig Grad in Dakhla, herrschen momentan in Deutschland tiefe Minustemperaturen. Ich packe alles, was ich für meine Rückreise per Motorrad brauche, in die Koffer und die Rolle. Der Rest, sowie Vronis Motorradklamotten, müssen in Vronis Koffer und Rolle verpackt werden. Diese Sachen bleiben an der Maschine und werden vom ADAC mit der Maschine nach Hause transportiert - inshallah! Vronis Maschine stellen wir dann in der Garage des Hotels ab, da der Rücktransport sicher noch eine Woche dauern wird und sie bis dahin sicher stehen soll. Die Zeit bis zum Abflug gegen 22:00 Uhr, verbringen wir mit Spaziergängen in der Stadt und Taxifahren. Zum Abschied essen wir noch einmal im Restaurant Samarkand, wo uns der Kellner freudig begrüßt und sich gleich nach Vronis Befinden erkundigt. Dann fahren wir zu Flugplatz, wo Vroni zunächst befürchtet, mit einer der klapprigen Militärmaschinen fliegen zu müssen. Doch bald darauf landet eine stattliche Boeing 737, die für sie wenigstens ein richtiges Flugzeug darstellt. Der Flug wird sie nach Agadir bringen, dort muss sie nach Casablanca umsteigen und erst von dort aus geht eine Maschine nach Frankfurt.
In der Nacht kann ich kaum schlafen, um drei Uhr morgens schaue ich das letzte Mal auf die Uhr. Um sechs Uhr starte ich meinen Motor und fahre in die Dunkelheit hinaus. Es ist recht kühl und das Visier beschlägt ständig, so dass ich meist mit offenem Visier fahre. Die ersten beiden Polizeikontrollen winken mich um diese Zeit einfach durch. Erst an der Kreuzung, wo die Straße nach Mauretanien abzweigt, muss ich die Prozedur über mich ergehen lassen. Doch der Polizist ist sehr nett und bietet mir sogar von seinem Frühstück an, was ich aber dankend ablehne. Auf der Strecke sind nur wenige Fahrzeuge unterwegs, aber wenn doch mal eines entgegen kommt, dann voll aufgeblendet. Endlich geht die Sonne auf, doch bis sie sich gegen den Nebel richtig durchsetzen kann, dauert es etwas. An der Tankstelle, an der ich vor einigen Tagen mit Vroni getankt hatte, tanke ich auch wieder. Dabei erkundigt sich der Tankwart nach Vronis Befinden. Nett, dass er sich noch erinnert. Ich wechsele noch ein paar Worte mit einem Brasilianer, der auf einem Fahrrad durch Afrika unterwegs ist, dann geht's schon wieder weiter. An der Unfallstelle liegt noch der abgerissene Sturzbügel von Vronis Transalp. Ich untersuche die Stelle nochmals und versuche herauszufinden, warum sie gestürzt ist. Der Asphalt verengt sich hier plötzlich um einen ca. halben Meter und bildet einen mindestens zehn Zentimeter hohen Absatz. Wahrscheinlich war Vroni etwas unaufmerksam und ist direkt auf die Kante gefahren und nach unten abgerutscht, das würde auch die beschädigte Schwinge erklären. Beim Versuch im spitzen Winkel, entgegen dem hohen Absatz, wieder auf die Fahrbahn zu kommen, ist sie dann gestürzt.
In Boujdour frühstücke ich wieder. Nach der obligatorischen Polizeikontrolle, ziehe ich das Gas ordentlich auf und knalle weiter nach Norden. In Laâyoune tanke ich wieder nach und speichere meine Tracks vom GPS auf den Palm. Nun will ich nicht mehr auf der Küstenstraße weiterfahren, sondern einen Bogen durchs Landesinnere über Smara machen. Bei der Ortsdurchfahrt und der Suche nach dem richtigen Weg verfahre ich mich etwas, aber nach einigem Herumgezirkele finde ich dann doch die Straße nach Smara. Zuerst muss ich jetzt wieder ein ganzes Stück nach Süden fahren. Da hier alles ziemlich flach ist und mir auf achtzig Kilometern gerade mal ein Auto entgegen kommt, zieht sich die Strecke wie Gummi. Endlich erreiche den Abzweig nach Smara. Die Polizei winkt mich freundlich durch, ich ziehe den Hahn auf Anschlag und weiter geht die Post. Ein Stück weiter in der Einsamkeit, fahre ich auf eine Staubwolke zu. Hier beginnt eine Piste, die sich parallel zum Neubau eines neuen Asphaltteilstücks erstreckt. Die Staubwolke wird von einem altersschwachen Land Rover aufgewirbelt, der schwer beladen über den Schotter poltert. Kurze Zeit später muss er meinen Staub schlucken und ich habe wieder freie Sicht auf die Strecke vor mir. Solche Umleitungsstücke häufen sich bis Smara. Einige sind sehr tückisch, da man sich durch weichen Sand arbeiten muss und die Maschine ständig ausbrechen will. Kurz vor Smara warnen Schilder vor Sandverwehungen auf der Straße, vor denen ich jedoch verschont bleibe. Dann tauchen getarnte Militärstellungen rechts des Weges auf, aus denen Panzerrohre herausragen. Kurz darauf erreiche ich den Stadtrand von Smara und damit natürlich wieder eine Kontrollstelle, bei der freundlich, aber nicht minder genau wie bisher, die persönlichen Daten in ein großes Buch eingetragen werden. Ich rolle langsam durch den Vorort und komme an eine Kreuzung. Links geht es nach Tan Tan, also meine eigentliche Richtung, rechts geht's nach Smara hinein, wo eine Tankstelle lockt. Vor der Tankstelle wartet schon ungeduldig die nächste Militärkontrolle auf mich. Ok, ich ergebe mich in mein Schicksal, gebe meinen Pass ab und während die uniformierten Jungs schreiben, fahre ich schnell zum Tanken rüber. An den Zapfsäulen stehen bereits zwei Toyotas von der Dakar-Rallye. In den einen sind gerade hundertfünfundneunzig Liter Diesel reingelaufen, dagegen wirkt mein dreiundvierzig Liter Tank recht winzig. Die Fahrer scheinen jedoch recht eingebildet, grüßen nicht zurück und schauen eher naserümpfend zu mir herüber. "Ihr könnt mich mal", denke ich, "aber kreuzweise, da kommt ihr öfter über die Mitte!" Ich bezahle und fahre zur Kontrollstelle zurück, wo ich meinen Pass wiederbekomme und mit den besten Wünschen für die Fahrt weiter gewunken werde. Mein Vorwärtsdrang wird jedoch nach hundert Metern wieder gestoppt. Die nächste Kontrolle, diesmal die Polizei. Die beiden Gendarmen schreiben sich aber nur Marke und Kennzeichen auf die Handfläche und wollen mich zu einem Tee einladen. Leider muss ich ablehnen, da ich noch einiges an Weg vor mir habe und gerade so gut im Schwung bin.
Hinter Smara muss ich noch eine lange und staubige Baustellenpiste meistern, dann kann ich endlich wieder den Motor ordentlich drehen lassen. Einige Bergzüge lockern nun die bisher eintönige flache Landschaft auf und das Teerband hat endlich wieder einige Kurven als Abwechslung zu bieten. Zwei Männer machen ein Picknick am Straßenrand und winken mir zu, ich solle mich zu ihnen gesellen. Ich winke freundlich zurück, lasse aber das Gas aus den bekannten Gründen stehen. Im Dorf Abetten komme ich wieder an eine Polizeikontrolle. Hier steht schon ein Euromaster-Lkw von der Dakar. Die beiden französischen Fahrer sind sehr nett und freundlich und erkundigen sich nach meinem Befinden und ob mit dem Moto alles in Ordnung wäre. Wir wünschen uns gegenseitig Glück für die weitere Fahrt und schon verschwinden sie in einer Staubwolke, während ich den Gesetzeshütern Rede und Antwort stehe. Kurz vor Tan Tan komme ich am Flugplatz vorbei. Von der Straße aus kann ich die Flugzeuge und das Lager der Rallye sehen. Ich überlege, ob ich hinfahren und mich ein wenig umschauen soll. Aber ich habe eine kurze Nacht und tausend flotte Kilometer hinter mir. Bis zur Dusche und einem Bett sind es noch zwanzig kleine Kilometerchen und die locken mich momentan mehr, als die Hektik im Fahrerlager und der eventuelle Ärger mit der Polizei auf der Zufahrtsstraße. Also Blinker links und ab Richtung Atlantik. Ich steige wieder im gleichen Hotel ab, in dem wir schon auf der Hinfahrt übernachtet haben. Als ich dort auftauche, freuen sich die beiden marokkanischen Bedienungen (nette Mädels :-) ) sehr über mein Erscheinen. Ich trinke erst einmal ein kühles Bier, dann bekomme ich wieder das gleiche Zimmer. Da vor dem Hinterhof mittlerweile ein Graben gezogen wurde, kann ich die Maschine in den Vorraum meines Zimmers schieben. Ich dusche recht lange und haue mich für ein paar Minuten aufs Bett. Da klingelt das Handy. Vroni ist gut zuhause angekommen. Sie ist gerade im Krankenhaus und wartet aufs Taxi. Elle und Speiche des rechten Armes sind gebrochen, aber sonst geht es ihr gut. Den Umständen nach ist das keine so schlechte Nachricht, auch wenn nun zwei statt nur einem Knochen gebrochen sind. Etwas beruhigter schlendere ich nun zum Abendessen auf die Terrasse. Das Rauschen des Meeres und das zweite (räusper ;-) ) Bier machen mich nach der langen Tour recht müde, in der kommenden Nacht werde ich sicher hervorragend schlafen.
Das Frühstück gibt es heute etwas später, aber nicht weil ich verschlafen hätte, sondern weil der Koch so spät zur Arbeit kommt. Egal, fahr ich halt etwas später los. In Tan Tan werde ich beim Abbiegen vor einer Schule von einem Stein in die Seite getroffen. Sofort wird aus dem Viertel- ein Halbkreis und schon stehe ich vor einigen Schülern, von denen einer gleich das Weite sucht. Ich packe einen der anderen am Schlafittchen und lasse mir den Namen des Flüchtigen nennen. Mit einem Gasstoß nehme ich die Verfolgung auf. Der Steinewerfer läuft einen großen Bogen und flüchtet zu einer Gruppe Soldaten. Mit blockierenden Rädern stoppe ich vor der Gruppe, springe vom Motorrad und laufe zwischen die Leute um mir den Burschen zu schnappen. Die Soldaten halten sowohl ihn als auch mich fest. Ich erkläre die Situation und zwinkere den Uniformierten zu, dass ich dem Jungen nur Angst machen will, gleichzeitig packe ich ihn am Kragen und schüttele ihn. Mit nun feuchten Hosen entschuldigt er sich bei mir per Handschlag und küsst mich sogar auf den Helm. Ich drohe ihm nochmals Hiebe an, falls er noch mal Steine werfen sollte und mache mich dann aus dem Staub. Die Strecke bis Guelmim ist diesmal frei von Sand und Wind. Die Sonne lacht vom blauen Himmel, so macht das Fahren richtig Spass, nur der Blick in den seit Dakhla leeren Rückspiegel trübt etwas meine Laune. In Guelmim biege ich Richtung Südosten nach Assa ab. Ein feines Sträßchen durch eine bergige Landschaft führt mich zum Col d'Amzloug. Diesen Pass hatte ich auf der Karte völlig übersehen. Umso mehr überraschen mich die schönen Kehren, die sich hinter Alpenpässen nicht zu verstecken brauchen und die tolle Aussicht auf die dahinter liegende Ebene. Assa selbst ist ein schönes Städtchen mit sauberen Straßen und Häusern, vielleicht weil es auch Gouverneurssitz ist. So weit weg vom Schuss, hätte ich das nicht erwartet. In Assa schwenke ich nach Norden auf eine Piste, die ich schon seit Jahren mal fahren wollte. Hätte ich es nur früher getan, denn aus der Piste ist mittlerweile eine geteerte Straße geworden. Enttäuscht lasse ich die Twin über den fast kurvenlosen Asphalt fliegen. Wenigstens ist die Landschaft nicht so trostlos wie vor Smara. Tamariskenbestandene Ebenen und grauschwarze Gebirgszüge säumen den Weg und bringen etwas Abwechslung für das Auge. In Foum El Hassane gönne ich mir eine Pause und eine schöne kühle Cola in einem Straßencafé. Der junge Wirt unterhält sich ein wenig mit mir. Er interessiert sich besonders für die Technik des Motorrads und die Höchstgeschwindigkeit, obwohl letztere in diesen Gefilden eigentlich uninteressant ist.
Bei Aït-Ouabelli fahre ich von Süden in die Piste ein, deren nördlichen Einstieg ich zusammen mit Vroni nicht gefunden hatte. Nach ungefähr einem Kilometer bin ich froh, dass wir den Einstieg damals nicht gefunden hatten. Große Steine wechseln sich mit tiefen Löchern ab. Selbst meine höhergelegte Twin kommt viel zu oft mit dem Untergrund in Kontakt. Ich drehe lieber um, bevor ich noch etwas kaputt mache, das ist mir die Sache nicht wert. Vor Tata biege ich nochmals vom Wege ab und lasse mich von einer Piste ein Stück ins Hinterland führen. Hier gibt es interessante geologische Verwerfungen aus grauer Vorzeit. Die ehemals horizontal geschichteten Ablagerungen aus der Zeit, als hier noch ein Meer war, wurden durch wahrscheinlich vulkanische Ereignisse angehoben und so gedreht, dass die Schichtungen nun schräg nach oben aus dem Boden ragen. Schon seit Foum El Hassane können über Kilometer solche natürliche Zinnen und Zacken neben der Straße beobachtet werden. Schon am Nachmittag bin ich in Tata. Eigentlich könnte ich noch locker bis Foum Zguid weiterfahren, aber dann ist mir die nächste Etappe nach Zagora "zu kurz". Da ich also viel Zeit habe, gehe ich diesmal zum Übernachten auf den Campingplatz. Etwas enttäuscht bin ich aber schon von der Anlage. Die sanitären Anlagen sind zwar sauber, aber die gesamte Anlage ist eher auf Wohnmobile als auf Zelte ausgelegt. In einer Ecke finde ich einen Platz mit etwas Gras, auf den mein Zelt gerade so drauf passt. Eine abgestorbene Palme beugt sich drohend über die hintere Apsis, sie wird hoffentlich nicht gerade diese Nacht ganz umfallen und mich erschlagen. Beim Duschen wundert mich, dass das Wasser seinen Aggregatzustand noch nicht gewechselt hat und als Eiswürfel aus dem Duschkopf prasselt, so kalt ist es. Zum Glück sind wenigstens die Lufttemperaturen so, dass man in kurzen Hosen und T-Shirt rumlaufen kann. Die anderen Camper sind alle mit großen Wohnmobilen unterwegs und kommen aus Frankreich. Interessiert kommen sie nacheinander zu meinem Zelt, wegen der sprachlichen Hürden kommt aber leider kein rechtes Gespräch auf. Ich muss mein französisch doch endlich mal auf Vordermann bringen, die meisten Franzosen die ich treffe, wollen oder können kaum Englisch sprechen. Dann ziehe ich durch die Straßen, zuerst wieder über den kleinen Markt und dann von einem Café ins nächste. Mit den Marokkanern kommt man immer leicht ins Gespräch und es ist auch oft sehr lustig, besonders bei manchen Verständigungsschwierigkeiten. Auf das Abendessen verzichte ich heute, die reichlichen frisch gepressten O-Säfte müssen reichen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit liege ich dann schon im Schlafsack und lausche den neuesten Nachrichten aus dem Weltempfänger.
Die Nacht ist doch recht kühl und im Eifer des Gefechts habe ich mein Zelt auf einer Bodenwelle gebaut, so dass ich ständig eine neue Schlafstellung suchen muss. Noch in der Dämmerung packe ich meine Siebensachen zusammen. Der Nachtwächter öffnet das Tor und ich tuckere aus der Stadt. Es ist um einiges kälter als in den letzten Tagen und der Himmel ist bedeckt, schade. Bei Tissint komme ich wieder an der Schlucht mit der ausgewaschenen Sandsteinebene vorbei. Diesmal finde ich einen Weg in die Schlucht hinunter, doch so ohne Sonnenschein wirkt hier alles fahl und blass. Ich versuche in Richtung des westlichen Ausgangs der Schlucht zu fahren, aber auf dem weichen Kies kostet das viel Kraft. Nach ein paar hundert Metern wird mir das zu gefährlich. Wenn ich hier blöd falle, findet mich niemand. Umständlich wende ich die Maschine und arbeite mich zur Auffahrt zurück. Nun noch ein paar sandige Kehren hoch und schon bin ich wieder auf der Straße. Die Polizei an der Kontrollstelle in Tissint winkt mich durch, früher musste man hier immer halten. Beim überqueren des Oued Tissint fallen mir eine Anzahl Störche im fast trockenen Flussbett auf. Sofort mache ich den Motor aus und lasse mich leise ausrollen. Die Vögel rühren sich nicht. Ich verharre eine Minute regungslos um sie nicht aufzuschrecken. Dann ziehe ich vorsichtig und langsam den Klettverschluss auf, mit dem das Kartenfach auf dem Tankrucksack befestigt ist, um den Fotoapparat rauszuholen. Krrrrrk! Und schon fliegen die blöden Viecher auf. Sie ziehen eine weite Runde, dabei kann ich sie gut zählen und komme auf stattliche neunundzwanzig Tiere. Weit entfernt von mir lassen sie sich wieder im Oued nieder. Ich überlege zunächst ihnen zu folgen, aber sicher werde ich sie wieder aufschrecken. Sollen sie in Frieden ihre Nahrung suchen. Vor Foum Zguid finde ich ein Stück eines Roadbooks von der Dakar-Rallye. Leider ist es nur ein kurzes Teilstück mit dem man nichts anfangen kann, also Gas auf und weiter. In Foum Zguid frühstücke ich gemütlich. Der Wirt setzt sich zu mir und sagt, dass er sich an mich erinnere und dass wir doch vor einer Woche zu zweit im Lokal schräg gegenüber gewesen wären. Er fragt dann auch gleich, wo denn meine Frau sei. Ich erzähle ihm von Vronis Sturz und dass sie schon mit dem Flugzeug nach Deutschland geflogen wäre. Bestürzt wünscht er alles Gute und das Allah schon alles richten werde. Ich solle Grüße ausrichten und das nächste Mal unbedingt wieder bei ihm vorbei schauen. Dann erzählt er mir, dass eben gerade vier Österreicher mit Motorrädern bei ihm gewesen wären und sie zum Lac Iriki und dann weiter nach Zagora fahren wollten. Hm, diese Strecke bin ich auch schon gefahren, aber alleine ist mir das zu gefährlich. Ich erkläre ihm, dass ich auf der Piste nach Zagora fahren möchte, die nördlich von Foum Zguid beginnt. Er fragt mich dann noch, ob ich genügend Wasser dabei hätte und ich zeige auf den dreiviertel gefüllten drei Liter Kanister an meinem linken Koffer. Er meint zwar, dass das etwas wenig wäre, aber ich denke das reicht für die hundertdreißig Kilometer, zumal ich noch einen Liter im Koffer deponiert habe und es eigentlich verhältnismäßig kühl ist. Dann verabschieden wir uns voneinander und ich düse los.
Am Pistenabzweig steht ein großes Schild, auf dem in arabisch, französisch und englisch steht, dass man aus Umweltschutzgründen seinen Müll nicht in der Wüste liegen lassen solle. Abgesehen davon, dass die Anweisung völlig richtig ist, ist es dennoch eine Farce. Um die Ortschaften herum sind große Müllhalden und der ständige Wind verteilt die Hinterlassenschaften in alle Richtungen ... Im letzten Jahr bin ich diese Piste in umgekehrter Richtung gefahren, deshalb weiß ich, dass gleich einige verspurte Sandpassagen auf mich warten. Der Sand ist noch tiefer als im letzten Jahr und die Strecke ungleich länger. Die schwere Twin braucht hier eine starke Hand, um nicht aus der Spur zu geraten. Einige Berberfrauen reiten auf Eseln vor mir her. Als ich sie überhole winken und schreien sie wie verrückt. Schnell weiter, bevor ich eine oder gar alle heiraten muss ;-) Der Weg wird nun immer steiniger. Im Gegensatz zum letzten Jahr kommen aber immer wieder tiefe Sandlöcher, mit extrem feinen Sand, eine Körnung wie Mehl, man kann es eigentlich schon Fech Fech nennen. Bei den ersten beiden komme ich schwer ins Schlingern und versuche deshalb die weiteren möglichst zu umfahren. Leider geht das nicht immer und so stecke ich auf einmal fest und kippe um. Da der Sand recht tief ist und die Maschine auf dem rechten Koffer liegt, steht sie eigentlich nur etwas schräg da, so dass ich sie leicht wieder aufrichten kann. Das Anfahren in der staubfeinen Masse ist ungleich schwerer, zudem das Profil am Hinterreifen mittlerweile gegen Null tendiert. Schwer prustend arbeite ich mich langsam aus der Staubwolke, die durch das durchdrehende Hinterrad aufgewirbelt wird und bekomme endlich wieder festen Boden unter die Gummis. Zum Glück bleibt das mein erster und einziger "Sturz" auf der Tour. Nach dem ersten Drittel der Piste kommt ein extrem steiniges Stück. Vom letzten Mal her weiß ich noch, dass sich die Piste hier aufteilt und die nördliche Route die schwierigere ist. Also schwenke ich auf die südliche Strecke und holpere Kilometer für Kilometer weiter. Klank, klonk, heftig schlagen die Steine gegen Motorschutz und Hauptständer. Ab und zu flutscht mit einem lauten Plopp ein Stein unter dem Reifen weg. Es hört sich fast so an, als ob ein Reifen platzt. Mit der hochbeinigen und leichteren KTM würde ich das jetzt lieber fahren, aber die Twin schafft das sicher auch ganz souverän, dass hatte Phils RD04 letztes Jahr schon bewiesen. Ungefähr in der Mitte der Strecke halte ich kurz an. Wenn ich nach vorne schaue, sieht die Landschaft genauso aus, wie wenn ich nach hinten blicke. Eine schnurgerade steinige Piste. Wenn mir gerade jetzt etwas kaputt gehen würde, was ich nicht reparieren könnte, dann hätte ich fast siebzig Kilometer zu laufen, egal in welcher Richtung. War das wirklich eine so gute Idee, die Piste alleine zu fahren? Jetzt ist es zu spät. Jeder Kilometer den ich jetzt weiterfahre, brauche ich im Falle des Falles nicht zu laufen.
Irgendwann habe ich die steinige Ebene überwunden. Nun versuchen große verspurte Sandfelder mich aufzuhalten. Auch diese waren letztes Jahr lange nicht so ausgeprägt. Die meiste Zeit fahre ich im jungfräulichen Sand neben der eigentlichen Piste her. Der Sand ist hier zwar auch ziemlich tief, hat aber keine "Spurrillen", die Ross und Reiter aus der Bahn werfen wollen. Da ich die Maschine ordentlich laufen lasse, um die Fahrstabilität zu erhöhen, muss ich nur auf die zahlreichen Grasbüschel achten, um die der Sand ziemlich hart ist und die mir dadurch auch gefährlich werden können. Mit dem GPS brauche ich auch nicht auf den eigentlichen Pistenverlauf zu achten, sondern kann mir die Strecke entsprechend des besseren Untergrunds aussuchen. Aber auch ohne Satellitennavigation könnte man sich kaum verfahren, die Richtung ist durch Gebirgszüge links und rechts der Strecke deutlich vorgegeben. Irgendwann taucht am Horizont eine Felsformation auf. Jeder, der schon einmal in Zagora war, erkennt den charakteristischen Bergzug und weiß, dass an dessen Fuß die berühmte Oase liegt. Man braucht sich jetzt nur noch auf seine Fahrspur zu konzentrieren, dass Ziel hat man ja ständig vor Augen. Beim Durchfahren einer kleinen halb vom Sand zugewehten Siedlung, fahre ich mich noch mal ordentlich im Sand fest. Jetzt heißt es absteigen und mit Vollgas und durchdrehendem Rad die Maschine aus dem Loch schieben. Manchmal kommt man so wieder frei, aber manchmal gräbt man sich auch noch tiefer ein. Ich habe Glück und wühle mich aus der Verwehung wieder heraus. Genau drei Stunden nach dem Start in Foum Zguid, erreiche ich den Kreisel mit dem berühmten "52-Tage-bis-Timbouktou-Schild" in Zagora. Meine Wasservorräte habe ich nicht angetastet, deshalb stoppe ich direkt vor einem Restaurant, um meinen Durst zu stillen und um einen gepflegten marokkanischen Salat zu verspeisen. Nach der "Mittagspause" klappere ich die zwei Campingplätze in Zagora ab. Beide sind absolut leer. Nee, ich bin schon den ganzen Tag alleine, da habe ich keine Lust als einziger Gast im Zelt zu versauern. Ich drehe nochmals eine Runde durch den Ort und fahre dann zum Hotel, in dem wir schon auf der Hinfahrt waren. Nachdem ich meine Fahrklamotten gewaschen habe, brause ich mir genüsslich den Staub von der Haut und ziehe mir frische Sachen an. Schnurstracks laufe ich dann zu "meinem" Friseur und lasse mich gründlich rasieren. Danach lege ich mich noch mit ein paar aufdringlichen Händlern an, deren blöde Anmache unbedingt dies oder das anzuschauen und zu kaufen mir tierisch auf den Geist geht. Zagora ist zwar irgendwie schön, aber halt doch ein Touristenkaff mit dem üblichen Nepp. Das Abendessen nehme ich zusammen mit nur vier anderen Gästen ein. Auch hier im Hotel ist nicht viel los, aber zumindest mehr als auf dem Campingplatz. Von der Flasche Wein, die ich mir zum Essen bestelle, bleibt gut die Hälfte übrig. Die kippe ich in meine Sigg-Flasche als Vorrat für einen der kommenden Abende.
Als ich Zagora nach Norden hin verlasse, ist es wirklich schweinekalt. Ich kurve am Oued Drâa entlang und nehme dann den Abzweig nach Tazzarine. Weil ich friere, halte ich in Nekob bei einem Café. Ich bestelle einen heißen Café au Lait und frage, ob ich mich im Hinterzimmer umziehen kann. Dort knöpfe ich mir mein Innenfutter in Hose und Jacke. Dieses Zimmer ist gleichzeitig das Schlafzimmer des Wirtes. Auf dem Boden liegt eine gehäkelte Decke als Unterlage, darauf liegt ein zweites ähnliches Exemplar zum Zudecken. Hart und kalt sieht das Ganze aus, die Leute hier sind wirklich nicht zu beneiden. Ich schlürfe meinen Kaffee und beobachte das geschäftige Treiben um mich herum. Heute scheint Markttag zu sein, die Straßen sind vollgestopft mit Händlern und Kunden. Klapprige Autos bahnen sich hupend einen Weg durchs Getümmel. Nicht weit neben mir werden abgeschlagene Köpfe von Rindern, Ziegen und Schafen auf dem Boden zum Kauf feilgeboten. Dadurch schmeckt mir verweichlichtem Mitteleuropäer der Kaffee leider nicht gerade besser. Bald darauf rolle ich auch langsam durch die vielen Menschen aus dem Ort. Meine Cross-Handschuhe habe ich gegen die Lederhandschuhe getauscht und entgegen meinem Aberglauben, dass es anfängt zu regnen, sobald ich meine Griffheizung einschalte, läuft auch diese auf Hochtouren. Kilometer um Kilometer hetzen rastlos unter mir hinweg, bis ich Rissani erreiche. Hier suche ich den Pisteneinstieg nach Merzouga. Zunächst finde ich mich auch gut aus der Erinnerung zurecht, aber dann verfahre ich mich doch im Gewirr der Oasengärten. Hinter einer Kurve werde ich von einer Schar Kinder erwartet. Johlend umringen sie mich und betteln um Kugelschreiber und ähnliches. Im Rückspiegel sehe ich, wie einer der Jungs einen dicken Stein nach mir schleudert und mich voll aufs Schulterblatt trifft. Sofort springe ich vom Bock und nehme die Verfolgung auf. Aber ich will meine Maschine nicht alleine unter der Horde stehen lassen und so gebe ich schon bald auf. Rissani ist in dieser Beziehung echt ein Dreckskaff. Die Kinder sind hier extrem aggressiv, wie ich schon während früherer Reisen feststellen konnte. Nach einigem Umherirren finde ich dann endlich den Einstieg und presche in die Weite hinaus. In früheren Jahren war die Strecke zwischen Rissani und Merzouga nahezu sandfrei. Diesmal werde ich von einem Sandfeld ins nächste gejagt. Da hier alles kilometerbreit verspurt ist, kann man auch kaum ausweichen und es ist eine Heidenarbeit einigermaßen die Richtung zu halten. Komischerweise ist in der Nähe des westlichen Dünengürtels der Sand noch am besten zu befahren. Als ich aus einer Senke herausfahre, bauen sich einige Kilometer vor mir die großen Dünen des Erg Chebbi auf. Trotz des stark bewölkten Himmels leuchtet der Sand tiefrot. Das Rot spiegelt sich in den Wolken wider. Zusammen mit dem schwarzen Untergrund vor den Dünen ein fast mystischer Anblick.
Kurz vor Merzouga schwenke ich nach Norden, um nach Erfoud zu fahren. Ich kreuze eine Anzahl Spuren, fahre einen Hügel hinunter und stecke dann bis über die Hinterachse fest. Beim Versuch aus dem Loch herauszufahren, grabe ich mich noch tiefer ein. Unter dem Hinterrad ist der Boden regelrecht eingebrochen, ein Herausfahren oder -schieben unmöglich. Mutterseelenallein stehe ich nun mit total eingegrabener Maschine in der Weite, von Horizont zu Horizont nur Sand und Steine. Doch das ist lange kein Grund um aufzugeben. Ich stelle mich hinter das Motorrad, packe mit beiden Händen die Querverstrebung des Gepäckträgers und hebe das schwere Ungetüm aus dem Loch. Zentimeter für Zentimeter kann ich die Fuhre so seitlich aus dem eingebrochenem Loch lupfen. Dann wieder mit viel Gas aus dem tiefen Sand schieben und mit einem befreienden Schrei auf den Bock springen und mit dem Fahrtwind den vor Anstrengung roten Kopf kühlen. Um nicht ständig mit den Spurrillen kämpfen zu müssen, kreuze ich im großen Winkel die Spuren. Die richtige Richtung halte ich mit Hilfe des GPS-Pfeils, denke ich zumindest! Da Erfoud hinter Rissani liegt und ich durch das Kreuzen ständig die Richtung wechsele, drifte ich zu weit nach Westen ab und lande schließlich wieder in Rissani. Ich ärgere mich über mich selbst, zum einen, weil ich nicht sauber navigiert habe und zum anderen, weil ich wieder durch das blöde Kaff fahren muss. Nun gut, ein Beinbruch ist es ja auch nicht und nun weiß ich ja auch, wie ich am schnellsten wieder hier raus komme. In Erfoud esse ich wieder einen obligatorischen Salat und wärme mich mit heißem Tee wieder auf. Bis Er Rachidia möchte ich heute noch fahren, ein kurzer Check von Ölstand und Kettenspannung, Tank aufgefüllt und ab geht die Post. Nach einigen Kilometern geht rechts die Piste nach Boudnib ab. Ich zögere, doch dann überwiegt die Vernunft, nicht wieder alleine eine einsame Piste abfahren. Mir kommen zwei BMW Motorräder mit eingeschaltetem Licht entgegen. Das sind bestimmt Deutsche, sonst fährt hier keiner mit Licht rum, denke ich und kontrolliere ob meines auch eingeschaltet ist ;-) Zu spät überlege ich mir anzuhalten und ein paar Worte zu wechseln. Schade, genau das hätte mir jetzt gefehlt. In Er Rachidia sind die Straßen regennass. Anscheinend ging hier gerade ein Gewitter runter. Es ist jetzt 15:00 Uhr und bis Midelt sind es noch knapp hundertfünfzig Kilometer. Das schaffe ich noch locker, denke ich mir, irgendwie zieht es mich nach Hause. Recht sportlich fege ich durch den Gorges du Ziz, den Regler der Griffheizung wieder voll aufgedreht, weil sich die Straße nun bis auf 1900 Meter hochschraubt. Hinter dem Col de Taglamt scheint die Sonne wieder. Die dunklen Wolken werden vom Gebirgszug des Jebel Ayachi auf der Südseite festgehalten. Im Norden sind kaum noch Wolken am Himmel. Nach weiteren fünfunddreißig kalten Kilometern stehe ich endlich vor dem Hotel. Nach dem Motto, "erst das Pferd und dann der Mann", kümmere ich mich zuerst um die Maschine. Zum ersten Mal muss ich die Kette spannen. Dann noch etwas Kettenspray drauf und fertig. Ab unter die heiße Dusche und den elektrischen Radiator auf volle Pulle stellen. Die Heizung stelle ich mir direkt neben das Bett.
Nach einem kurzen Frühstück beginnt die letzte Etappe. Etwas über vierhundert Kilometer stehen bis Melilla auf dem Programm, um 14:30 Uhr geht die Fähre. In Missour tanke ich noch mal voll, dann stoppe ich nur noch zwei oder drei Mal für Fotos und für Toilettengänge. Drei kleinere Gebirgszüge gilt es noch zu überwinden, bis wieder das Meer in Sicht kommt. Ich wühle mich durch den Verkehr in Nador und nehme die Abkürzung nach Beni Ansar. Dann warten eine knappe Stunde Zollformalitäten auf mich. Als ich auf die Abfertigung der Papiere warte, schleichen zwei ältere Burschen um die Twin. Ich pfeife und will sie mit einer Handbewegung verscheuchen. Die beiden kommen auf mich zu und zeigen mir ihre Ausweise: "Surete National", Polizei also. OK, das beruhigt mich dann doch. Wir unterhalten uns noch kurz über Motorräder und Preise und schon darf ich weiter. In Melilla fahre ich an der schönen Strandpromenade entlang, ob ich hier noch mal anhalten und was trinken soll? Nee, lieber erst das Ticket klar machen. Vor der Schalterhalle stehen schon einige "Schlepper" und wollen das Motorrad auf einen "Parkplatz" lotsen und darauf aufpassen, gegen Geld natürlich. Aber ich bin nicht das erste mal hier, ich fahre durch bis zur Zollkontrolle in einer Art Parkhaus und stelle die Maschine unter Aufsicht der dortigen Polizisten ab. Vor dem Ticketschalter wollen mich wieder zwei Leute abfangen und mir das Ticket "gebührenpflichtig" vermitteln. Ich erkläre, dass ich sehr wohl in der Lage bin, mir mein Ticket selbst zu kaufen und verlange, mich in Ruhe zu lassen. Prinzipiell ist ja nichts dagegen zu sagen, dass sich die Leute mit ihrer Hilfestellung etwas verdienen wollen, aber die Penetranz geht mir total gegen den Strich. Nachdem der Drogenhund dann noch meine Maschine abgeschnuppert hat, darf ich endlich auf die Fähre rollen. Kaum habe ich meine Kabine bezogen, legt das Schiff auch schon ab. Ich schaue auf die Uhr, sind wir mit der Abfahrt nicht etwas früh dran? Mist, hier in Melilla gilt ja die mitteleuropäische Zeit und es ist hier schon eine Stunde später. Wenn ich also auf der Promenade noch was getrunken hätte, dann wäre das Schiff ohne mich los. Erleichtert lehne ich mich zurück, trinke den restlichen Wein aus der Sigg-Flasche und blicke auf die vergangenen 6000 zum Teil sehr anstrengenden Kilometer zurück. Ich denke an Vroni und bin froh, dass es ihr schon viel besser geht. Zufrieden döse ich ein ...