Tunesien 1998 - Bericht
"Vous voulez dormir ici? C‘est impossible, Monsieur!" Sie wollen hier schlafen? Das ist nicht möglich, sagt mir der Pförtner der Jugendherberge in Rades. Ich bin ganz verdutzt, schließlich bin ich nicht das erste Mal hier. Nachdem ich versucht habe, dem guten Mann unsere Situation zu erklären, es ist dunkel und kalt und wir hätten Hunger und seien müde, lehnt er wiederum ab. Als ich mit hängendem Kopf zu den anderen will, um ihnen Bescheid zu sagen, lacht der Alte plötzlich laut los, nimmt mich in den Arm und drückt mich wie ein Kind an sich. Natürlich könnten wir hier schlafen, es war nur ein kleiner Spaß auf unsere Kosten. Da lachen auch wir mit ihm um die Wette, froh, dass wir nun nicht doch los müssen, uns eine andere Bleibe für die Nacht zu suchen. Wir beziehen unsere Betten, gehen zum Duschen und breiten uns dann auf der Terrasse aus, um uns unser Abendessen zu kochen. Nach dem Essen kommt Mahmut mit einer Schischah, der traditionellen Wasserpfeife vorbei, die wir vier alle probieren sollen. Dabei fragen wir ihn gleich nach dem Grund für die laute Musik aus dem Erdgeschoss. Er erzählt uns, dass gerade eine tunesische Hochzeitsfeier stattfindet und fragt uns, ob wir uns diese nicht einmal anschauen wollten. Natürlich wollen wir, und so machen wir uns gleich mit ihm zusammen auf den Weg. In dem Festsaal ist die Hölle los, eine Band spielt viel zu laute arabische Musik, in einer Ecke tanzen die Männer, in einer anderen die Frauen. Das Brautpaar sitzt auf einem überdimensionalen Thron und überschaut von dort aus das Treiben im Saal. Jürgen fragt Mahmut, ob er fotografieren dürfe, der weiß nicht so recht und schickt einen Jungen zum Bräutigam, um ihn zu fragen zu lassen. Auf einmal werden wir von einigen Leuten an den Händen genommen und vor den Thron geführt, wo wir erst dem Brautpaar gratulieren und uns dann mit den beiden zusammen fotografieren und filmen lassen müssen. Auch mit Jürgens Kamera werden viele Bilder geschossen. Wir bedanken uns für die freundliche Geste und gehen wieder zum Ausgang zurück, da wir nicht glauben, dass unsere Trommelfelle die laute Musik überstehen werden. Dort versuchen wir uns noch etwas mit den anderen Gästen zu verständigen, aber es ist sinnlos bei dem Lärm. Irgendwann ziehen wir uns auf unsere Zimmer zurück, denn morgen wollen wir früh raus.
Bei leider bewölktem Himmel fahren wir Richtung Süden. In Mohammedia, die ihren Namen dem früheren türkischen Bey Mohammed verdankt, der sich hier im 18. Jahrhundert einen Palast als Sommerresidenz baute, stehen die Reste gewaltiger Palastanlagen seiner geltungssüchtigen Nachfolger aus eben dieser Zeit der türkischen Besetzung. Doch vom Glanz vergangener Zeiten ist nicht mehr viel übrig. Außerdem steht uns der Sinn im Moment eher nach Wüstenlandschaft als nach alten Kulturstätten. So fahren wir dann auch mehr oder minder achtlos an den kilometerlangen ca. 1800 Jahre alten römischen Aquädukten vorbei, die teils verfallen und teils auch noch in recht gutem Zustand sind. Manche werden sogar gerade restauriert oder zumindest soll dem endgültigem Zusammenbruch vorgebeugt werden. Früher wurde mit der steinernen Leitung das Quellwasser vom Berg Zaghouan über eine fast neunzig Kilometer lange Strecke bis nach Karthago geleitet. Die heilige Stadt Kairouan lassen wir nur zu gerne links liegen, wie wir seit der letzten Reise wissen, kommt man aus dieser Stadt kaum noch ohne Teppich raus, die dortigen Händler sind einfach zu aufdringlich. Am Nachmittag erreichen wir endlich den Einstieg in die Wüste. In El Hamma, ca. 55 Kilometer westlich von Gabès gelegen, biegen wir links ab und folgen der Piste, die südlich um den Jebel Tebaga herumführt. Der Weg ist sehr staubig, so dass nur der erste Fahrer etwas sieht und die anderen mehr oder weniger blind folgen müssen. Schließlich fahren Vroni und ich voraus und Brigitte und Jürgen folgen uns im fünf Minuten Abstand. Mehrmals müssen wir steinige Oueds queren und ausgewaschenen Furchen ausweichen. Später kommen noch einige Sandfelder hinzu, die unseren Vorwärtsdrang hemmen wollen. Doch wir arbeiten uns tapfer weiter, auch wenn wir an zwei tiefen Gräben gemeinsam jedes einzelne Motorrad durchbringen müssen. Irgendwann in der Dämmerung bauen wir dann unser Zelt auf, das heißt, Vroni und ich bauen auf, Brigitte und Jürgen wollen im Freien schlafen. Mir sind einfach zu viele dunkle Wolken am Himmel, sage ich zu Jürgen, doch der behauptet, dass es definitiv nicht regnen wird. Nach einer kleinen Mahlzeit liegen Vroni und ich im Zelt und hören wie erst leicht und dann immer fester Regentropfen auf unser Stoffdach fallen. Bei den anderen beiden fängt die Hektik an, im Dunkeln und bei Regen die Hütte aufbauen und gleichzeitig die Schlafsäcke vor dem Nass schützen ist definitiv nicht so einfach.
Der nächste Morgen ist zwar kühl und grau, aber dafür trocken. Wir folgen der Piste weiter nach Westen und halten nach einem Brunnen Ausschau, an dem wir auf die nach Douz führende Strecke wechseln wollen. Bei einer kleinen Zwangspause, weil Brigitte unfreiwillig eine Abkürzung querfeldein genommen hatte, sehen wir in der Ferne ein Windrad stehen, das muss der gesuchte Brunnen sein. Wir bleiben noch ein Stück auf unserem Weg bis die Pistenabzweigung zur Wasserstelle kommt und biegen dann in südliche Richtung ab. Ab jetzt ist der Untergrund viel sandiger als vorher, und wir haben Glück, dass der Boden vom nächtlichen Regen noch feucht und sehr tragfähig ist. Je mehr wir uns Douz nähern, desto öfter kommen uns nun Fahrzeuge, meist Kleinlaster, entgegen. Die einheimischen Fahrer sind nicht gerade langsam unterwegs, und wir müssen auf der schmalen Piste aufpassen, dass wir heil aneinander vorbei kommen. Jedes Mal wenn ich eine Kuppe hinauffahre, habe ich Angst, dass mir von der anderen Seite so ein Kamikaze entgegenkommt. Dann sehen wir am Horizont ein Minarett und einige Häuser stehen. Beim Näherkommen wird der Ort immer größer und schließlich wird aus der Piste eine Asphaltstraße, die direkt zu einer Tankstelle führt. Dort treffen wir auch gleich die vier italienischen Motorradfahrer, die wir auf der Fähre schon kennen gelernt haben. Sie haben den asphaltierten Weg nach Douz bevorzugt und sind deshalb schon ein paar Stunden da. Frisch gewaschen und das Gepäck in einem Hotel deponiert, wollen sie jetzt los und die Umgebung erkunden. Wir fahren erst einmal in die Innenstadt und machen es uns in einem Café bequem. Bei einem heißen Café au Lait lässt sich das bunte Treiben bequem beobachten, außerdem sind einige Geschäfte direkt in der Nachbarschaft gelegen, so dass wir unsere Vorräte an Ort und Stelle ergänzen können. Wegen dem Regen der letzten Nacht sind die Straßen voller tiefer Pfützen, und es ist überall sehr schmutzig, trotzdem hat der Ort irgendwie einen gewissen Flair, der mich fasziniert. Doch es hilft alles nichts, irgendwann müssen wir ja doch weiterfahren, also warum nicht gleich. Bis El Aouina begleitet uns noch der Asphalt, dann haben wir wieder eine harte mit Sandfeldern geschwängerte Piste unter den Rädern. Kaum zehn Kilometer sind wir unterwegs, als Vroni in einem Sandloch die Kontrolle über ihre Maschine verliert und stürzt. Ich wende schnell und fahre zurück, Jürgen ist schon bei dem regungslos am Boden liegenden Mädchen. Ein Fuß steckt noch unter der Maschine, also müssen wir zuerst die Maschine hochheben. Dann drehen wir Vroni vorsichtig auf den Rücken. Sie blutet aus der Nase und hat einen tiefen Schnitt unter dem Kinn. Sie ist bei Bewusstsein und sagt, dass ihre rechte Schulter stark schmerzt. Wir versuchen sie zu beruhigen, geben ihr etwas zu trinken und legen ihre Beine hoch. Hinter uns kommt ein Geländewagen angefahren, nach kurzer Schilderung der Lage erklärt sich das Kölner Paar spontan bereit, die Verletzte in das Krankenhaus von Douz zu fahren. Jürgen und ich fahren gleich hinterher, Brigitte bleibt noch bei den anderen beiden Motorrädern zurück. Im Krankenhaus wird Vroni sofort behandelt. Nach dem Röntgen der Schulter wird die Kinnwunde genäht und die Blutung in der Nase gestillt. Der Arzt diagnostiziert eine gebrochene Schulter und will Vroni sofort von einem Spezialisten in Kebili operieren lassen. Aber halt, das geht mir dann doch zu schnell. Ich renne zu einem Taxiphone und rufe beim ADAC an, um abzuklären, ob die Verletzte nicht besser nach Deutschland geflogen werden sollte. Nachdem eine Ärztin vom Automobilclub sich telefonisch mit dem behandelnden Arzt und mit Vroni wegen der Transportfähigkeit abgesprochen hat, wird entschieden, dass sie nach Deutschland soll. Inzwischen sind Jürgen und Brigitte wieder im Krankenhaus aufgetaucht, sie haben inzwischen zwei Zimmer in einem Hotel gebucht. Zuerst fahren wir die Patientin ins Hotel, dann holen wir Brigitte mit den verbliebenen Maschinen vom Krankenhaus ab. Wir beziehen unsere Zimmer und dürfen die Motorräder in der Diskothek abstellen. Doch dazu müssen wir erst eine siebenstufige Marmortreppe erklimmen. Beim ersten Versuch verbiege ich mir den Motorschutz und beschädige einige Stufen. Dann endlich kommen ein paar Männer mit einer Diele, auf der wir unsere Zweiräder mit Motorkraft nach oben bringen können. Kaum ist alles verstaut, ruft jemand vom ADAC an und teilt mir mit, dass Vronis Motorrad um 18:00 Uhr abgeholt wird und Vroni selbst um Mitternacht. Also, Kommando wieder zurück, und Vronis Alp wieder die Treppen hinuntergefahren, runter geht es auch ohne Brett. Pünktlich steht der Abschleppwagen vor der Tür, und wir laden die Maschine auf. Bis auf ein paar Kratzer ist zwar nichts dran, aber wir können mit drei Personen schlecht auf vier Motorrädern weiterfahren. Außerdem muss beim Zoll in Tunis die Maschine aus Vronis Pass ausgetragen werden. Auf dem Rückweg wollen wir sie dann mit auf die Fähre bis Genua nehmen, wo unsere Anhänger stehen.
Mitternacht, draußen tobt ein Unwetter, und wir sind froh, Glück im Unglück zu haben und trocken im Hotel zu sitzen. Ich habe Vronis Sachen gepackt und gehe mit ihr zur Rezeption des Hotels. Der Nachtportier denkt, wir wollen ihn veräppeln, als wir sagen, dass gleich ein Ambulanzwagen kommt. Und tatsächlich, es kommt auch keiner. Ich rufe nochmals beim ADAC an und hake nach. Bis die Sache geklärt ist, gehen wir wieder ins Zimmer zurück. Später kommt dann ein Anruf, dass das Fahrzeug im Moment wegen des Sturmes nicht durchkommt und erst gegen acht Uhr morgens bei uns sein wird. Nach dem Frühstück sitzen wir gestiefelt und gespornt wieder in der Hotelhalle und warten. Endlich, um zehn Uhr ist das Auto da. Vroni wird vorsichtig ‚eingeladen‘ und dann geht die Reise los. Später erfahre ich, dass das Ambulanzfahrzeug für die knapp 500 Kilometer lange Strecke nach Tunis ca. zehn Stunden gebraucht hat, überall waren durch das Unwetter Umleitungen und Verzögerungen. Am nächsten Tag hatte Vroni dann noch fünf Stunden beim Zoll verbracht, bis die Maschine endlich aus dem Pass ausgetragen war und wurde dann, weil das Flugzeug nach Frankfurt inzwischen schon weg war, nach Brüssel geflogen, von wo aus sie mit einem anderen Flieger nach Stuttgart gebracht wurde.
Inzwischen hat sich in Douz das Wetter gebessert, und wir machen uns auf den Weg nach Ksar Ghilane. Leider habe ich die Koordinaten für eine gute Route zuhause im Rechner vergessen, da kann ich auf unseren GPS-Geräten rumhacken wie ich will. Also fahren wir das erste Stück bis zu den Dünen nach einer noch vorhandenen Pistenbeschreibung. Dann suchen wir uns im Reiseführer die Koordinaten von Ksar Ghilane raus und fahren querfeldein immer dem Pfeil im Display nach. Da es in der Nacht literweise geregnet hatte, ist der Sand sehr tragfähig, wir brauchen noch nicht einmal den Luftdruck in den Reifen zu senken. Uns macht es tierischen Spaß, regelrecht durch die Dünen zu surfen, mal steil und mal flach hinaufzufahren, auf der anderen Seite wieder hinunterzujagen, um gleich die nächste wieder aufs Korn zu nehmen. Natürlich küssen wir auch öfter mal den Boden, aber der Untergrund ist weich genug, um Schäden an Mensch und Material zu verhindern. Obwohl wir teilweise recht flott unterwegs sind, kommen wir nur mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa zehn Kilometer pro Stunde unserem Ziel näher. Zu oft müssen wir von der Ideallinie abweichen, Hindernisse umfahren und auch die eine oder andere Pause einlegen. Als ich meine viel zu lockere Kette nachspanne, tausche ich gleich das 15er Ritzel gegen ein 14er aus. Das Ergebnis überzeugt, Passagen, die ich vorher im ersten Gang fahren musste, kann ich jetzt leicht im zweiten bewältigen, dabei sinkt das Drehzahlniveau, und der Motor heizt sich nicht so stark auf. Eine Stunde vor dem Dunkelwerden, so gegen 17:00 Uhr, bauen wir unser Nachtlager mitten in den Dünen auf, diesmal baut auch Jürgen gleich sein Zelt auf ;-)). Wir kochen uns Nudeln und trinken dazu Tee, und nach Einbruch der Dunkelheit liegen wir auf dem Boden und schauen in den Himmel auf die unzähligen Sterne. Ja - das ist es - deswegen sind wir hierher gefahren. Natürlich nicht nur wegen der Sterne, auch das Motorradfahren in der Sahara macht Spaß und die fremde Kultur interessiert uns. Aber, wer in der nächtlichen Stille der Wüste diesen Anblick je genießen durfte, versteht, was ich meine.
Am nächsten Tag ist der Sand zwar schon deutlich trockener, aber er trägt uns immer noch geduldig unserem Ziel entgegen. Schon bald haben wir das Fort, das ca. fünf Kilometer vor der Oase auf einem Bergrücken liegt, erreicht. Von hier bis zum Palmenrand sind die Dünen am schwierigsten. Irgendwie spitzer und weicher und oft auch höher als auf der ganzen bisherigen Strecke. Die kleine, weiche Piste, die zwischen den Sandhügeln hindurchführt, meiden wir gleich. Auf dem unberührten Sand, soweit man in dieser Gegend noch von Unberührtheit sprechen kann, lässt es sich viel besser fahren. So dauert es auch nicht lange, bis wir die warme Quelle hinter den Palmen erreichen. Welch ein Kontrast, überall sind Cafés um die Quelle verteilt, einige Leute baden darin. Eine Anzahl Geländewagen stehen hier, unter anderem auch die Kölner, die Vroni ins Krankenhaus gefahren haben. Mehrere Campingplätze und eine neues Hotel weisen auf eine hohe Anzahl Touristen hin. Früher war Ksar Ghilane ein Geheimtipp unter Insidern, heute werden in langen Autokarawanen die Pauschalreisenden von der Küste hierher gekarrt. Im Moment sind viele Straßen unpassierbar, deshalb ist hier kaum was los. Der algerische Führer eines anwesenden österreichischen Motorradreiseveranstalters erzählt uns, das die Truppe statt der geplanten wenigen Stunden von der Küste bis hierher wegen des Unwetters geschlagene zwei Tage gebraucht hatte. Da hatten wir wieder einmal Glück im Unglück. Nach einigen Café au Lait, fahren wir zum weiter im Inneren der Oase gelegenen Campingplatz und mieten uns in einem Beduinenzelt ein. Bevor wir duschen wird erst einmal die Wäsche gewaschen und die Maschinen durchgesehen. Dann laufen wir zu den Österreichern an der Quelle zurück und quatschen noch ein wenig miteinander. Plötzlich lässt ein tiefes Donnern die Erde erzittern, nein, es ist kein neues Unwetter, es sind Franz auf seiner tierisch lauten Spezial-Umbau-BMW und Thomas auf einer halbwegs normalen TT, die wir noch von der Fähre her kennen. Gemeinsam mit den beiden essen wir im Restaurant des Campingplatzes zu Abend und klönen noch bis in die Nacht.
Von Ksar Ghilane aus fahren wir auf einer Piste nach Osten ins Dahar Gebirge. Die Strecke ist zunächst ein guter Schotterweg, der jedoch in der Nähe der Berge oft von den Wassermassen der letzten Regenfälle stark in Mitleidenschaft gezogen oder sogar komplett weggespült wurde. Das Durchfahren der Querrinnen ist nicht immer einfach, doch es macht uns trotzdem oder gerade deswegen viel Spaß. Kurz vor dem neuen Gourmessa im Tal, machen wir noch einen kleinen Abstecher in die Berghöhen zum alten Bergdorf Gourmessa. Es liegt in einem Kessel zwischen zwei hoch aufragenden Felskegeln. Durch wilde von Tafelbergen gesäumte Felslandschaften führt uns der teils mit großen Steinen übersäte Weg bis zum Pistenende nahe der alten Moschee. Hier sitzt im Schatten ein alter Mann, der uns mit Händen und Füßen erzählt, dass dieser Teil des Ortes von den Berbern zum Schutz vor Feinden so abgelegen und schwer zugänglich angelegt wurde. Noch immer leben hier einige Familien in den Wohnhöhlen, die täglich ihr Wasser über einen steilen beschwerlichen Pfad nach oben tragen. Von hier oben hat man einen guten Ausblick auf die gegenüberliegende Tafelbergkette und die im Tal liegende neue Stadt. Nachdem wir wieder im Tal angekommen sind, wechseln wir nach einigen Kilometern auf die Asphaltstraße nach Tataouine, wo wir tanken wollen und uns einen kleinen Imbiss gönnen möchten. Tataouine wurde Anfang dieses Jahrhunderts als Militärbasis und Sträflingslager der Fremdenlegion gegründet und hat sich bis heute zu einem modernen Verwaltungszentrum und Gouvernoratssitz für den gesamten tunesischen Süden entwickelt. Trotz aller Größe und Wichtigkeit des Ortes sitzen wir nach dem Tanken in einem Restaurant, wo es nichts zu essen gibt und sogar die Cola ausgegangen ist. Also bestellen wir uns Café au Lait und gehen in den Laden gegenüber ein paar Flaschen Cola und einige hamburgerähnliche belegte Brote organisieren, die wir dann im Restaurant verzehren. Südlich von hier gibt es einige sehenswerte Ksour, die wir nach unserer Stärkung gerne noch besuchen wollen. Die Straße führt durch den palmenbewachsenen Oued Zondag in Richtung Remada. Zahlreiche Wasserdurchfahrten erinnern uns immer wieder an das Unwetter vor ein paar Tagen. Besonders die tieferen Stellen, wo uns beim Durchfahren das Wasser bis zum Hals hoch spritzt, sind wegen der im Moment recht kühlen Lufttemperatur doch etwas unangenehm. Vorbei am Ksar Ouled Aoun und Ksar El Aoidid, einer bis zu drei Stockwerken hohen Ghorfaanlage, geht es weiter zum ca. 900 Jahre alten Ksar El Khadim, mit seiner mächtigen Umfassungsmauer und zum etwas heruntergekommenen Ksar Daghara. Am späten Nachmittag erreichen wir unser eigentliches Ziel, das Ksar Ouled Soltane, das eines der schönsten Ghorfa-Anlagen sein soll. Die bis zu vier Stockwerken hohen Speicherhäuser gruppieren sich um zwei Innenhöfe aus dem 15. und 19. Jahrhundert und sind unlängst restauriert worden. Zahlreiche Hände räumen gerade die Überreste einer Folkloreveranstaltung für Touristen weg. Trotz der wirklichen schönen Anlage sind uns hier irgendwie zu viele Leute am Gange, so dass wir nach ein paar Besichtigungsrunden das Feld räumen.
In ca. einer Stunde wird es dunkel, und wir müssen uns Gedanken über einen Schlafplatz machen. Gegen eine einfache Übernachtung in der Natur sprechen zum einen die Kälte und zum anderen einige bedrohlich wirkende schwarze Wolken am Himmel. Ich erinnere mich an eine Übernachtungsmöglichkeit in einem Ghorfahotel in Metameur. Ein prüfender Blick in die Karte zeigt uns, dass Metameur ca. 80 Kilometer nördlich von hier liegt. Allerdings scheint die gesamte Strecke gut ausgebaut zu sein, also ist sie eigentlich noch bei Tageslicht zu schaffen. Auf dem ersten Stück bis Tataouine kommen wir wegen der hier noch schmalen Straße und der Wasserdurchfahrten nicht gerade flott vorwärts. Die Strecke von Tataouine bis Medenine ist da schon eine richtige Schnellstraße, auf der wir gleich viel besser vorankommen. Mitten auf der Strecke werden wir bei einer Polizeikontrolle gestoppt. Doch den Ordnungshütern ist nur langweilig, nach der Kontrolle der Ausweise und einem kleinen Schwätzchen werden wir freundlich weitergewunken. Kurz nach Einbruch der Dämmerung erreichen wir das Ghorfa Hotel. Leider dürfen wir dann doch nicht in den Ghorfas schlafen, die seien wegen Renovierung geschlossen. Soweit waren wir doch im Mai auch schon mal, damals konnten wir unseren Willen jedoch durchsetzen. Nach einigen Verhandlungen überlässt uns der ‘Chef’ ein mitten auf dem Platz aufgebautes Beduinenzelt. Schnell richten wir uns häuslich ein und und gehen dann bei Kerzenlicht zum Duschen. Im Restaurant vor den Ghorfas ist die Speisekammer leider leer, aber wenn wir wirklich noch essen wollten und eine Stunde Geduld hätten, würde der Koch noch etwas besorgen. Na gut, die Faulheit, sich selbst etwas zu kochen, besiegt den Hunger. In Gesellschaft von Nasr, mit dem wir lustige Wortspielchen veranstalten, warten wir bei heißem Pfefferminztee auf den Koch, der mit einem Mofa in der Dunkelheit verschwunden ist, um für uns etwas zum Essen zu organisieren. Aus der einen Stunde werden schließlich fast zwei, aber dann gibt es eine gute heiße Suppe, einen so scharfen Salat, dass mir der Mund wund wird, Rühreier mit Harissa und reichlich Fladenbrot. Bevor wir uns auf das Nachtlager werfen dürfen, müssen wir uns noch in Begleitung des Kochs eine stattliche Sammlung von Briefmarken und Geldscheinen aus aller Welt anschauen, die in einem Nebenraum des Restaurants aufgebaut ist.
Jürgen will unbedingt den Sonnenaufgang fotografieren, doch ich muss ihn lange ärgern, bis er endlich aufsteht. Erst als er draußen vor dem Zelt steht, stehe auch ich auf, um mich mit dem Fotoapparat auf die Lauer zu legen. Eigentlich passiert so ein Sonnenaufgang oder auch Untergang jeden Tag, warum aber ist er gerade im Urlaub so faszinierend? Liegt es an der fremden Umgebung? Hat man im Urlaub mehr Muse, seine Gedanken an so etwas "Alltägliches" zu verschwenden? Die Gründe sind mir im Moment egal, es ist einfach zu schön, die rötlichgelbe Scheibe am Horizont aufsteigen zu sehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Dann holt uns der Urlaubsalltag wieder ein, Maschinen packen, Strecke absprechen und los geht’s. Wir fahren zurück nach Medenine und suchen dort die Ausfallstraße nach Beni Khedache. Nach einiger Zeit sehen wir das querliegende Bergmassiv des Jebel Mogor vor uns liegen. Beim genauen Hinsehen erkennen wir auch die Straße, die sich am Hang nach oben windet, da müssen wir jetzt drüber. Auf halber Höhe und ganz oben stoppen wir, um die Aussicht zu genießen und einige Fotos zu schießen. Die Weiterfahrt wird durch eine verwirrende Beschilderung erschwert, alle Orte, die auf den Schildern stehen, sind nicht auf der Karte zu finden und umgekehrt. Wir verlassen uns auf unser Glück und – haben Pech, doch nach einigen kleinen Verfahrern finden wir den richtigen Weg. Auf einer nicht verzeichneten Piste kommen wir nach El Hallouf, suchen uns entlang einiger kleiner Orte einen Weg nach Norden und finden schließlich den Abzweig nach Matmata. Die Strecke ist zunächst geteert und führt entlang der Ausläufer des Dahar Gebirges. An einer Abzweigung kommen wir dann auf eine schlechte steinige Piste. Teilweise ist der Weg durch die Unwetter so zerstört worden, dass wir zu dritt jede Maschine einzeln über die weggespülten Stellen bugsieren müssen. Kurz vor Matmata erreichen wir ein kleines Tal, wo die Piste regelrecht im Schlamm verschwindet. Gerade sind zwei Männer dabei, ihren uralten Peugeot aus dem Dreck zu graben. Bereitwillig helfen wir dann, das Fahrzeug rückwärts aus der Spur zu schieben, hier kommt im Moment kein normales Auto durch. Unerwarteterweise ist der Morast für unsere Enduros tragfähig genug, fast spielerisch zirkeln wir an dem eben geborgenen Auto vorbei, dessen Insassen uns nochmals freundlich zuwinken. Jetzt noch über einen kleinen Bergrücken, dann rollen wir auch schon nach Matmata hinein und halten gleich beim ersten Café. Natürlich haben wir auch Durst, aber dass schon zwei Motorräder aus Franken, Jürgens und Brigittes Heimat, dort stehen war sicher auch ein Grund. Nach einem kleinen Informationsaustausch mit dem fränkischen Pärchen, sie wollen in die Richtung fahren, aus der wir gerade kommen, bestellen wir unsere Standardgetränke Café au Lait und Cola. Dazu gibt es leckere tunesische Kekse, ähnlich unserer heimischen Prinzenrolle, nur etwas kleiner. Inzwischen haben wir auch unsere Karten ausgebreitet und beraten über den Verlauf der weiteren Wegstrecke. Wir entscheiden uns für die Piste nach Tozeur, doch dazu müssen wir zuerst eine Tankstelle finden, sonst wird es knapp mit dem Treibstoff. In Matmata gibt es leider keine Tankstelle, doch 15 Kilometer nördlich von hier, in Matmata Novelle, soll es Sprit geben. Doch bevor wir loskommen, braust ein geschäftstüchtiger Tunesier auf seinem mit Schaffellen beladenen Mofa heran und will uns unbedingt Felle für unsere Sitzbänke verkaufen. Der Preis ist mit 35 TD allerdings horrend, so täuschen wir Desinteresse vor und erklären, dass wir gar keine Felle bräuchten und deshalb wären selbst 5 TD für uns ein zu hoher Preis. Nach einigem hin und her einigen wir uns auf 13 TD für ein Fell. Es ist groß genug für zwei Sitzbänke, deshalb schneiden Jürgen und ich es entzwei, so hat jeder ein Fell für 6,50 TD.
Nach unserem kraftstoffbedingten Umweg kehren wir wieder nach Matmata zurück und bewegen uns von dort aus in Richtung Osten. Bei einer kleinen Pause erörtern wir die Übernachtungsfrage. Das Wetter ist gut, also spricht nichts gegen eine Nacht in der Natur, wir müssen nur noch die richtige Stelle finden. Nach einigen Kilometern queren wir ein Tal mit einem schmalen Zugang ins Nachbartal. Hier biegen wir von der Straße ab und arbeiten uns querfeldein hinter einen Hügel, der uns vor neugierigen Blicken schützen soll. Bei der Geländesondierung finden wir eine verlassene Höhlenwohnung, ein idealer Schlafplatz, bei dem wir auch noch die Arbeit des Zeltauf- und -abbaus sparen. Vorsichtig untersuchen wir die vier Höhlen mit unseren Taschenlampen, es stinkt bestialisch nach Schafen und Ziegen und die Böden sind mit deren Kot übersät. Das wollen wir uns dann doch nicht antun, da bauen wir lieber unsere Stoffhäuschen auf. Während die untergegangene Sonne ein feuriges Rot in den hellblauen Himmel gießt, genießen wir einen Sundowner namens Jack D. und kochen unser Abendessen. Nachts liegen wir wieder bei mehr oder weniger philosophischen Gesprächen vor den Zelten und beobachten den Himmel. Ungewöhnlich viele Sternschnuppen fallen vom Firmament, man kommt kaum noch mit dem Wünschen nach. Während wir so gedankenversunken daliegen, springt mir irgendetwas auf den Bauch, von dort aus neben mich und schlägt hart auf dem Boden auf. Erschrocken schreie ich laut auf, "uuaahh!" Dann merke ich, dass es nur meine Taschenlampe war, die mir von meinen angezogenen Knien aus heruntergefallen ist. Jürgen und Brigitte lachen sich über die Angst des unerschrockenen Wüstenbezwingers natürlich halb tot, und Tage später noch werde ich mit einem Uuaahh! auf den Arm genommen. Schließlich wird es irgendwann so kalt, dass wir doch den Weg in unsere Schlafsäcke finden.
Am nächsten Morgen wechseln wir versehentlich auf eine nicht in der Karte verzeichnete Straße, doch die grobe Richtung stimmt, und wir nehmen einen etwas nördlicher als geplant liegenden Einstieg in die Piste. Vor uns liegt nun ein bis zum Horizont reichender schnurgerader Weg, zumindest auf den ersten Blick. Unser anfangs recht flottes Tempo wird durch tiefe Querrinnen jäh gebremst. Was aus der Ferne wie eine topfebene gerade Piste aussah, entpuppt sich nun als ausgewaschene und mit Sandfeldern durchsetzte Strecke. Doch wir haben es ja nicht anders gewollt, wir müssen nur vorsichtiger fahren, da viele Löcher und Sandfallen erst spät zu erkennen sind. Irgendwann kreuzen wir die Piste nach Douz, auf der wir vor einigen Tagen nach Süden gefahren sind, jetzt halten wir uns weiter westlich und folgen dem Lauf des Jebel Tebaga. In Kebili finden wir eine Tankstelle mit gegenüberliegendem Café, so dass wir Ross und Reiter fast gleichzeitig tränken können. Von hier aus fahren wir auf der Straße nach Tozeur. Die Strecke führt zunächst recht kurvenreich durch riesige Dattelplantagen, die ab und an von Dörfern unterbrochen werden. Die recht gut aussehenden Häuser zeugen von einem gewissen Reichtum, der sicher auf die guten Geschäfte mit den Erzeugnissen der Oase zurückzuführen ist. Nachdem wir den Oasengürtel hinter uns gelassen haben, durchziehen wir auf einer wie mit dem Lineal gezogenen Straße den Chott el Jerid, dem größten Salzsee hier in Tunesien.
Franz hatte uns den Campingplatz in Tozeur empfohlen, und wir kramen noch einmal die Wegbeschreibung aus unserem Gedächtnis. Zum Glück ist der Weg leicht zu finden, Tozeur ist ja keine Großstadt. Auf dem Campingplatz gibt es viele schattenspendende Bäume, sogar warme Duschen und ein paar mehr oder weniger verfallene Hütten, in die man sich einmieten kann. Wegen der hier zu erwartenden Stechmücken bevorzugen wir jedoch unsere mit Mückennetzen ausgestatteten Zelte, die außerdem noch vom Tau der letzten Nacht etwas feucht sind und sowieso getrocknet werden müssen. Hier lernen wir auch René aus der Schweiz kennen, der mit seiner Africa Twin von hier aus über Libyen, Ägypten und dann mit dem Schiff weiter nach Indien, Pakistan und Australien will. Dass er noch nicht viel Motorradreiseerfahrung hat, sieht man an seinem riesigen Gepäckvolumen. Vorn hat er einen Tankrucksack mit großen Seitentaschen montiert, hinten zieren zwei Alukoffer mit je einem 10 Liter Kanister das Heck. Auf dem Soziussitz hat er einen 20 Liter Kanister, zwei Reifen und einen großen Rucksack gestapelt. Gemeinsam sprechen wir das Gepäckproblem durch und diskutieren, von welchen Sachen er sich besser trennen sollte und was absolut notwendig ist, damit er seine Reise zwar sicher, aber mit noch etwas Fahrspaß weiterführen kann. Abends gehen wir gemeinsam mit René in die Stadt zum Essen. Da unser bevorzugtes Restaurant erst in ca. einer Stunde öffnet, setzen wir uns in ein Café am Marktplatz. Doch dort werden wir nicht glücklich, kaum haben wir bestellt, da werden wir auch schon von einem Heer Stechmücken überfallen. Wild um uns schlagend trinken wir schnell aus und gehen weiter. Die einheimischen Gäste lassen sich von den Blutsaugern überhaupt nicht beeindrucken, sie sitzen ruhig da und unterhalten sich. Nach einer kleinen Stadtbesichtigung, bei der wir von allen Seiten Datteln angeboten bekommen, endet unser Weg beim nun endlich geöffneten Restaurant, wo wir uns die hungrigen Bäuche mit leckerem Couscous voll schlagen.
Gemeinsam mit René wollen wir heute eine Tour nach Tamerza und Mides machen. Damit es nicht eine profane Hoch- und Runterheizerei wird, haben wir uns eine schöne Strecke ausgesucht, die uns auf netten Umwegen und natürlich teilweise auf Pisten zum Ziel führen soll. Zunächst geht es nach Norden in Richtung Gafsa. Kurz vor der großen Brücke zweigt dann rechts eine sandige Piste ab, die zwischen den Jebels Morra, el Asker und Sif el Leham im Süden und den Jebels Sehib und Bou Serra im Norden genau nach Osten führt. Der Pistenverlauf ist oft nicht mehr zu erkennen, und einige Male müssen wir querfeldein fahren, um nach einer weiterführenden Spur zu suchen. Auf der Strecke wechseln sich Sand, festgefahrener Boden, lockerer erdiger Untergrund und glitschiger fast schlammiger Belag ab. Oft wird der eigentliche Verlauf wegen zu tiefer Spurrillen oder zu feuchtem Untergrund umgangen, aber verfahren kann man sich nicht, solange man im Tal zwischen den Bergen bleibt. Als Auffanglinie am Ende der Piste haben wir auf der Karte eine Bahnlinie ausgemacht, die wir jedoch nicht finden. Statt dessen erreichen wir auf Anhieb die dahinterliegende Straße, die uns zunächst nach Norden führt. Nach einigen Kilometern biegen wir nach links ab und umfahren den Jebel Bou Serra nördlich auf Asphalt. In einem kleinen Lokal an der Straße stärken wir unsere von der Pistenfahrt ermüdeten Körper, um für die Weiterfahrt fit zu sein. Zwischen Metlaoui und Moulares durchqueren wir ein Phosphat-Abbaugebiet. Hier ist nichts mehr von der schönen Gegend zu sehen, alles ist von einem schwarzgrauen Schleier überzogen. Die Ortschaften entlang unseres Weges sind von der Industrialisierung gezeichnet. In Moulares ist der in den größeren Orten Tunesiens übliche "Boulevard der Umwelt" mit abgestorbenen Palmen gesäumt, die (noch) mahnend in den Himmel ragen. Wir wollen hier so schnell wie möglich durch, werden aber zweimal von Polizeistreifen gestoppt, die jedoch nur freundlich unsere Pässe kontrollieren und etwas mit uns herumscherzen. Als wir endlich wieder mehr oder minder unberührte Landschaft erreichen, steht die Sonne schon sehr tief. Wir haben uns total in der Zeit verschätzt und müssen nun wohl oder übel auf den Besuch der Schluchten verzichten. Bei Tamerza berühren wir kurz die algerische Grenze, wenden uns dann nach Südosten und müssen uns sputen, um noch bei etwas Helligkeit wieder auf die Hauptstraße zu stoßen. Als wir die Ebene erreichen, kommen uns die Heidelberger Africa Twin Fahrer entgegen, die wir von der Fähre her kennen. Wir halten an und erzählen uns gegenseitig, was wir bisher so getrieben haben, es ist mittlerweile sowieso schon dunkel. Wir verabreden uns noch für den nächsten Tag, um von Tamerza aus ein Stück gemeinsam nach Norden fahren. Nach einer weiteren kühlen dreiviertel Stunde sind wir endlich wieder auf dem Campingplatz, wo wir René zu einem Nudelgericht aus der Tüte und einem flüssigen Betthupferl einladen.
Schon früh haben wir unseren Hausrat zusammengepackt, um rechtzeitig bei den Heidelbergern aufzutauchen, wir haben ja auch noch ca. eine Stunde Fahrt bis zum Treffpunkt in Tamerza vor uns. Bei Tag sieht die Strecke in die Berge gleich viel angenehmer aus, jedoch muss ich an manchen Stellen schon schlucken, dass wir in der Dunkelheit so flott hier durch sind, zum Glück haben wir am vorigen Abend nicht alles gesehen. Der gestern in der Dämmerung noch verwaiste Aussichtspunkt kurz vor Tamerza gleicht heute morgen einem Rummelplatz. Von überall her kommen Geländewagen mit Touries. "Aussteigen, aussteigen, ville schenne Fottos machen. Aber nur eine virrtel Stunde", rufen die tunesischen Fahrer ihren Passagieren zu. Uns wird es bald zuviel, schnell rauf auf die Maschinen, und schon lassen wir den Jahrmarkt in einer Staubwolke zurück. In Tamerza finden wir zunächst nur das auf einem Hügel über dem Ort gelegene Hotel. Der Übernachtungspreis liegt bei ca. hundertzwanzig Mark pro Person, hier sind sie also bestimmt nicht. Man sagt uns, dass es bei den Wasserfällen ein weiteres Hotel geben soll, und wir machen uns auf die Suche. Nach zwei bis drei Ortsdurchquerungen werden wir fündig. Direkt am Eingang der Schlucht, wo die Wasserfälle sind, gibt es tatsächlich noch eine Herberge. Wir fahren in den Hof, und da stehen unsere Freunde schon. Nach großem Hallo mit den Heidelbergern werden wir von einem Hotelangestellten wieder rausgeschmissen, weil wir hier nicht übernachten wollen. Oben auf dem Parkplatz stehen unsere Moppeds aber ohne Aufsicht, deshalb schenken wir uns die Besichtigung der Wasserfälle und verabreden uns mit den anderen in einem Café im Ort. Nach einem mageren Frühstück fahren wir dann zu siebt weiter. Jürgen sucht eine Piste entlang der algerischen Grenze aus. In so einer großen Gruppe staubt es natürlich mächtig auf dem trockenen Boden und da ich als letzter fahre, bekomme ich auch am meisten davon ab. An einer Stelle müssen wir ein großes Oued durchqueren, das Ufer fällt jedoch ca. 1,20 Meter senkrecht ab. Nach einigem Suchen finden wir eine geeignete Stelle zum Einfahren. Der Boden des trockenen Flusslaufes ist sehr weich und verlangt unsere ganze Konzentration. Nach etwa 200 Metern sind wir auf der anderen Seite, die zum Glück sanfter ansteigt. Nun erreichen wir wieder eine asphaltierte Straße und halten uns Richtung Kasserine. In einem Dorf werden wir von einigen Kindern mit Steinen beworfen und auch getroffen. Jürgen und ich wenden und fahren den davonlaufenden Bälgern hinterher, worauf wir wiederum von einem Polizeiwagen verfolgt werden. Natürlich kriegen wir keinen zu fassen, müssen aber den Schergen Rede und Antwort stehen, warum wir so undiszipliniert durch den Ort gefahren sind. Da reicht es mir, ich schreie die beiden Uniformierten an, dass sie gefälligst auf ihre zweibeinigen Kröten aufpassen sollen. Da sie mich nicht verstehen, zeige ich auf meinen linken zersplitterten Spiegel und mache ihnen klar, dass dieser durch einen geworfenen Stein zu Bruch gegangen ist. Daraufhin blicken sie etwas betreten drein, und ich nutze die Gelegenheit, um zu verschwinden. Eigentlich schade, die Tunesier sind eigentlich sehr gastfreundlich und fast alle Kinder haben uns bisher lächelnd zugewunken. Wir einigen uns darauf die Sache nicht überzubewerten, schließlich hatten wir bis auf diese Situation nur positive Erlebnisse.
In Kasserine trinken wir zusammen noch einen Kaffee und essen ein paar Stücke Kuchen, dann trennen wir uns wieder von Marlo, Ender, Roland und Kai. Das Quartett will an die Küste fahren, um noch etwas auszuspannen, wir dagegen wählen den Weg durchs Landesinnere. Kurz vor Siliana kaufen wir noch etwas Brot und Gemüse, dann müssen wir uns auch schon wieder nach einem Schlafplatz umsehen. Das ist hier leider leichter gesagt als getan. Überall stehen kleine Gehöfte oder Hütten, nirgends ist man außerhalb der Sichtweite irgendwelcher Anwohner. Immer weiter fahren wir in die Hügel, bis es dunkel wird, und wir keinen mehr sehen, der uns sehen könnte. Hinter einer Feigenkakteenhecke bauen wir zuerst unsere Zelte auf, dann kochen wir uns eine heiße Suppe, denn es ist schon wieder empfindlich kalt geworden. Morgens friere ich sehr in meinem dünnen Schlafsack, und so nehme ich die Einladung von Brigitte und Jürgen gerne an, mit in ihren Doppelschlafsack zu kriechen. Hier ist es kuschelig warm, jetzt verstehe ich endlich, warum die beiden morgens nie aus der Falle kommen.
Unsere letzte etwa 150 Kilometer lange Etappe führt uns wieder zur Jugendherberge nach Rades. Bis auf ein gemütliches Frühstück in einem netten Straßencafé verläuft die Fahrt unspektakulär und ist hier oben eher langweilig. In der Jugendherberge bekommen wir wieder unser altes Zimmer und beginnen gleich damit, unsere Unterwäsche zu waschen und unsere Zelte zum Trocknen aufzuhängen. In der Nacht ist es um diese Jahreszeit relativ kalt und das Zelt ist beim Einpacken meist noch triefend nass vom Tau. Als wir am Abend wieder auf der Terrasse sitzen und unser Essen kochen, kommen auch die beiden Franken, die wir im Café in Matmata getroffen haben, in die Jugendherberge. So wie wir, wollen auch die beiden den morgigen Tag zu einem Ausflug nach Tunis nutzen. Gegen halb drei Uhr in der Nacht herrscht auf einmal rege Betriebsamkeit auf der Terrasse. Brigitte und Jürgen konnten nicht mehr schlafen und schauen sich die Sterne an. Unser Erlanger Nachbar hat sich gleich dazugesellt, um eine zu rauchen. Da hält mich auch nichts mehr im Bett, ich ziehe mich an und leiste den Dreien Gesellschaft. Es ist bitterkalt hier draußen, Brigitte wirft den Kocher an und wir machen uns einen heißen Tee. Jetzt gefällt es uns hier draußen gleich viel besser. Komischerweise sind wir alle dick angezogen, nur der Erlanger steht barfuss hier im Freien. Da wird uns nur vom Zuschauen kalt, doch ihm scheint das nichts auszumachen. Als uns schließlich doch die Augen zufallen, wandern wir zurück in unsere Kojen, wir wollen morgen auch früh raus.
Wir sind mit dem Bus nach Tunis reingefahren und, wie sollte es anders sein, frühstücken gemütlich in einem Stehcafé. Danach entdecken wir einen Markt, auf dem alles feilgeboten wird, was Landwirte geerntet und Fischer gefangen haben. Natürlich sind wir von den nicht immer angenehmen Gerüchen, den Marktschreiern und der bunten Vielfalt der Stände gefangen. Wir probieren hier und kaufen da und müssen uns schließlich regelrecht losreißen um auch noch in die Altstadt zu kommen. Hier laufen wir erst einmal quer durch zu einem Laden, den ich noch vom letzten Besuch in Erinnerung habe. Hier werden Nummernschilder angefertigt und wir lassen uns es nicht nehmen, original tunesische Kennzeichen als Souvenir mitzunehmen. Danach trennen wir uns für zwei Stunden. Ich fahre mit dem Taxi zur Firma, die Vronis Motorrad nach Tunis gebracht hat, um den Papierkram zu erledigen. Brigitte und Jürgen machen derweil den Souk unsicher. Nachdem alles erledigt ist, treffen wir uns wieder zu einer gemeinsamen Mahlzeit in einer der vielen Garküchen. Zufällig treffen wir an einem belebten Platz mit vielen Cafés Franz und Thomas, die mit einigen anderen Motorradfahrern nach Tunis gekommen sind. Leider sind sie mit ihren Maschinen hier, die sie nicht ohne Aufsicht stehen lassen wollen. Abwechselnd stehen sie nun Wache und besichtigen die Stadt, natürlich alles in Motorradklamotten bei ca. 26 Grad im Schatten. Nach den anstrengenden Fußmärschen durch die engen Gassen, diversen Einkäufen und den damit verbundenen Verhandlungen, sowie einigen Café au Lait, gönnen wir uns für die Rückfahrt ein Taxi. Den späten Nachmittag verbringen wir mit dem Packen unserer Siebensachen, morgen früh müssen wir zeitig zur Fähre, da ich noch Vronis Maschine beim Zoll auslösen muss. Unsere Vorräte sind zu Ende und wir wären nach dem anstrengenden Tag sowieso zu faul, um uns selbst zu verköstigen, deshalb fahren wir mit einem Taxi nach Hammam Lif und suchen uns dort ein schönes Restaurant direkt am Meer. Nach dem einfachen aber reichlichen Mahl und ein paar Bierchen haben wir schnell die nötige Bettschwere erreicht, und wir suchen uns ein Taxi für die Rückfahrt.
Schon um halb acht Uhr stehen wir vor dem noch verschlossenen Hafen. Unsere Tickets können wir aber im Abfertigungsgebäude vor dem Hafen schon bestätigen lassen und außerdem die für den Zoll notwendigen Ausreisezettel ausfüllen. Natürlich treffen wir hier fast alle, die wir auf der Herfahrt und in Tunesien kennen gelernt haben, so dass für genügend Kurzweil gesorgt ist. Die Auslösung des Motorrads funktioniert zwar, wie erwartet, nicht ganz reibungslos, aber es klappt schließlich doch. Geduld ist eben eine Tugend, die der gemeine Mitteleuropäer kaum noch kennt. Nun stehe ich mit zwei Transalps und nur einem Hintern vor dem Schiff und überlege, wie ich die Situation am besten meistere. Etwas Glück braucht der Mensch natürlich, und so finde ich Claudia, die zwar einen Motorradführerschein hat, aber als Sozia unterwegs ist. Sie erklärt sich sofort bereit, eine der beiden Maschinen auf die Fähre zu fahren und natürlich auch in Genua wieder aufs Festland zu bringen, wo unsere Anhänger stehen.
Vroni geht es in der Zwischenzeit auch wieder besser, sobald sie wieder ohne Hilfe einen Helm aufsetzen kann, will sie wieder mit dem Motorrad die Welt erkunden. So nimmt eine Tour, die mit einem ärgerlichen Unfall begann, ein gutes Ende.