Naher Osten 1995 - Bericht
"Wann macht denn endlich der Zoll auf"? fragt mich Ulli genervt. Nach 60 Stunden Fährfahrt von Athen nach Haifa will sie endlich wieder in den Sattel ihrer Suzi steigen. Nach einer dreiviertel Stunde wird das Abfertigungsgebäude endlich geöffnet. Sofort drängen wir zu den Schaltern, füllen Formulare aus und warten auf Stempel und Unterschriften. Nach einer Stunde sitzen wir endlich wieder im Sattel, fahren ca. 30 m zum Tor und - müssen wieder absteigen. Noch einmal Reisepässe rauskramen, Papiere für die Enduros zeigen und Auskunft über Ziel und Zweck unserer Reise geben. Dann endlich heißt es Welcome to Israel und wir stürzen uns in den Trubel der Stadt. Die Wegweiser sind dreisprachig beschrieben, hebräisch und arabisch, den beiden Amtssprachen in Israel und zum Glück auch in englisch, so finden wir schnell den Weg aus der Stadt. Die Israelis haben einen sehr italienischen Fahrstil, doch an diesen sind wir gewöhnt und haben deshalb keine Schwierigkeiten u ns im Verkehrsgewühl zurechtzufinden. An den Ampeln stehend werden wir oft gefragt woher wir kommen und wohin die Reise geht. Nun, erst mal geht's nach Osten zum See Genezareth, südlich davon wollen wir dann über die Sheik Hussein Bridge nach Jordanien fahren. Die ca. 70 km bis zum See fahren wir auf einer gut ausgebauten Landstraße. Links und rechts der Straße sehen wir Felder mit Melonen, Mais und Baumwolle. Letzteres wird gerade mit riesigen Maschinen abgeerntet. Einige Kilometer vor Tiberias, der wichtigsten Stadt am See Genezareth geht es nur noch bergab. Ab und zu weisen uns Tafeln am Straßenrand auf die aktuelle Höhe unter dem Meeresspiegel hin. Tiberias selbst liegt 200 m unter dem Meeresspiegel, dementsprechend hoch ist hier die Temperatur. Über einem T-Shirt tragen wir nur noch unsere Protektoren-Hemden, so dass uns der Fahrtwind etwas Kühlung verschafft und wir trotzdem im Falle eines Sturzes geschützt sind.
Der See Genezareth wird von Norden nach Süden vom Jordan durchflossen und breitet sich über eine Fläche von ca. 170 Quadratkilometern aus. Im Hebräischen wird er Yam Kinneret genannt, der Name geht auf eine Legende zurück, nach der Gott aus allen Seen die er geschaffen hatte, den Kinneret (Kinnor bedeutet Harfe) für sich selbst auserwählte, weil das Schlagen der Wellen dem Klang einer Harfe ähnelte. Im Neuen Testament spielt der See eine zentrale Rolle im Leben Jesu; viele Wunder und Handlungen werden mit ihm oder Orten in seiner Umgebung in Zusammenhang gebracht. Vom See aus sind es noch ca. 40 km bis zum Grenzübergang. Die Straße führt parallel zum Jordan durch Bananenplantagen und vorbei an seltsam anmutenden Dörfern und Gehöften. Sie sind mit einem doppelten Zaun und S-Drahtrollen umgeben, überall stehen Wachtürme und an den Ortseingängen stehen Militärposten. So nahe an der jordanischen Grenze haben die Bewohner Furcht vor Überfäll en und wollen sich durch diese Maßnahmen vor Terrorkommandos schützen. Auch die Berge rechts unseres Weges sind mit Stellungen der israelischen Armee durchzogen, durch die politische Annäherung der beiden Staaten sind die meisten heute unbesetzt.
An der Grenze werden wir durch Vorposten empfangen, die unsere Papiere kontrollieren und uns nach Waffenbesitz fragen. Dann werden wir per Funk an der eigentlichen Grenze angemeldet, wo wir von einer jungen Grenzpolizistin empfangen werden, die uns auf die weiteren Formalitäten wie Bezahlung der Ausreisesteuer (20 DM pro Person), Passkontrolle und Ausreiseformalitäten für die Motorräder hinweist und an die entsprechenden Schalter schickt. Nach einer halben Stunde geht's zu einer Nachkontrolle, bei der noch mal alles gecheckt wird, und dann ist der Weg über die Brücke frei. Auf der anderen Seite werden wir sehr freundlich von einem jordanischen Soldaten empfangen, der uns wiederum kontrolliert und zur Gepäckkontrolle weiterleitet. Zunächst müssen wir uns mit den Pässen, nach Männlein und Weiblein getrennt, in einer kleinen Hütte melden. Dann laden wir das ganze Gepäck ab und schieben es durch eine Röntgenkontrolle. Nachdem wir fast wieder mit dem Beladen fertig sind, sagt uns ein freundlicher Polizist, dass am nächsten Schalter alles wieder runter muss zur manuellen Kontrolle. Leicht gefrustet gehe ich erst einmal zur Passkontrolle. Nach einer halben Stunde erfahre ich, dass wir mit den Motorrädern nicht einreisen dürfen. Wir brauchen eine Genehmigung der Regierung. Selbst ein Empfehlungsschreiben des jordanischen Automobilclubs hilft uns nicht weiter. Nach endlosen Diskussionen müssen wir schließlich umkehren. Wieder an der israelischen Grenze angelangt, beginnt das Spiel von vorn. Alles abladen, Röntgenkontrolle des Gepäcks! "Aber wir sind doch erst vor zwei Stunden hier ausgereist", protestiere ich. Egal, meint der Zöllner und befiehlt den Seitendeckel und die Sitzbank abzubauen, sowie den Luftfilter auszubauen. Drei Polizisten untersuchen die Maschinen auf versteckte Bomben und fragen uns nach eventuellen Kontakten zu Arabern, ob wir die Motorräder verliehen hätten oder irgendwo ohne Aufsicht stehen ließen. "Aber wir waren doch nur zwei Stunden auf der anderen Seite", wiederhole ich meinen Protest. Wir müssten verstehen, dass die Untersuchung auch unserer Sicherheit diene und Vorschrift ist eben Vorschrift. Na ja, denke ich, dass ist ja wie zu Hause.
Nachdem wir endlich wieder auf der Straße sind, ist es schon fast dunkel. Wir fahren zurück zum See Genezareth und suchen uns einen Campingplatz. Am nächsten Morgen entschließen wir uns dazu, ganz in den Süden nach Elat zu fahren, um es am dort an der Grenze noch mal zu versuchen. Unsere Route führt parallel zur jordanischen Grenze durch das historische Palästina. An den dort häufigen Straßensperren, mal israelisch und mal jordanisch besetzt, werden wir stets freudig begrüßt. "Aus Deutschland, auf Motorrädern? Nein lasst den Pass stecken. Gute Fahrt und schöne Zeit", so oder ähnlich läuft es jedes mal ab. Am Nachmittag kamen wir zur Oase Ein Gedi, am Toten Meer. Wir haben uns für die Fahrt viel Zeit genommen und beschließen hier eine Nacht zu bleiben. Natürlich gehen wir gleich zum Strand. Das Wasser ist warm und fühlt sich ölig an. Es ist schon ein komisches Gefühl, wie ein Korken an der Oberfläche zu schwimmen und nicht untergehen zu können. Aber in den Augen brennt das salzige Wasser fürchterlich. Nur gut, dass hier überall Süßwasserduschen installiert sind. Für den nächsten Tag nehmen wir uns vor, einen Bogen durch die Negev Wüste zu machen. Wir hoffen, endlich mal ein Stück offroad fahren zu können. Aber auch hier werden wir enttäuscht.
Überall sind militärische Sperrgebiete, Schießplätze und Truppenübungsplätze anzutreffen. Die einzige Möglichkeit, Sand und Schotter zu befahren, ist direkt neben der Straße auf den parallel verlaufenden Pisten. Die enden aber meist als Sackgasse vor Militärlagern oder Panzersperren, so dass wir den Weg wieder zurück müssen. Mitten im Negev kommen uns zwei Motorradfahrer auf ihren BMWs entgegen. Natürlich halten wir sofort an. Zu unser aller Überraschung kennen wir uns. Wolfgang wollte ursprünglich mit uns zusammen Jordanien entdecken. Leider konnten wir unseren Urlaub nicht aufeinander abstimmen, er musste einige Wochen vor uns starten. Von den beiden erfahren wir, dass sie ohne Probleme von Israel nach Jordanien reisen konnten. Nur uns haben sie nicht reingelassen, beschwere ich mich. Um viele Tipps und Empfehlungen reicher, kommen wir am Abend in Elat an. Wir stellen unser Zelt auf einem Campingplatz direkt am Roten Meer auf. Schon vom Strand aus kann man die Korallen sehen und dazwischen Schwärme von bunten Fischen.
Mit Taucherbrille und Schnorchel können wir ein Stück weit in die fantastische Unterwasserwelt eindringen. Kaum zu glauben, dass in unmittelbarer Nähe der beiden Häfen von Elat und Aqaba mit ihren Industrieanlagen sich eine solche Flora und Fauna gehalten hat. Als sich die Sonne immer mehr nach Westen neigt, strahlen die Berge auf der jordanischen Seite in einem leuchtenden Rot. Das Wasser des roten Meeres ist dagegen tiefblau. Ein überwältigendes Farbenspiel direkt vor unserem Zelteingang. Tags darauf besuchen wir das Aquarium von Elat. Es ist zwar nicht sehr groß, aber trotzdem sehenswert. Die Attraktion ist eine Tauchfahrt mit einem U-Boot in ca. 60 m Tiefe, wo man die Korallenwelt bestaunen kann. Nach diesem abwechslungsreichen Tag überlegen wir unser weiteres Vorgehen. "Also, morgen versuchen wir noch mal über die Grenze zu kommen, wenn wir wieder scheitern sollten, dann fahren wir halt nach Ägypten", entscheidet Ulli. Um es gleich vorweg zu sagen, es verläuft genauso wie im Norden. Der jordanische Border Manager meint, dass es kein Abkommen zwischen Israel und Jordanien bezüglich der Einreise mit Motorrädern gibt, wir sollen nach Ägypten und von dort aus mit der Fähre von Nuweibah nach Aqaba fahren. Er verspricht mir in die Hand, dass wir auf diesem Wege bestimmt einreisen können.
Die Ausreise aus Israel und die Einreise auf den Sinai dauern natürlich wieder ein paar Stunden. Diesmal wurde unser Gepäck nur von Hand kontrolliert. Der ägyptische Grenzer war dabei sehr vorsichtig und darauf bedacht, unsere sieben Sachen nicht durcheinander zu bringen. Für die Motorräder gibt es ein neues System zur Registrierung, erklärt uns der Zöllner. Unsere Carnets will er nicht sehen. Wir sollen sie verstecken und auf keinen Fall jemanden zeigen, sonst könnten wir Ärger bei der Ausreise bekommen. Wir verstehen zwar nicht, was das soll, packen aber die Carnets tief unten ins Gepäck. Dann müssen wir noch eine Versicherung abschließen und ägyptische Kennzeichen montieren. Das ganze hat natürlich seinen Preis. Die Ein- und Ausreiseprozedur, d. h. Nummernschilder, Versicherung, Straßenbenutzungsgebühr, Aus- und Einreisesteuer usw., kostet uns gut 500 .- DM. Dafür ist in Ägypten der Liter Sprit für 40 Pfennige zu haben. Endlich von den Grenzprozeduren erlöst, fahren wir auf der Küstenstraße nach Süden. Die Fahrt auf der kurvenreichen Strecke macht großen Spaß. Mal entfernt sich die Straße vom Meer und windet sich durch die Berge, dann führt sie wieder nahe am Strand entlang. Die Berge Saudi Arabiens, die an der Küste gegenüber liegen, leuchten rot in der untergehenden Sonne. Ob das Rote Meer deshalb den Namen trägt?
Direkt an der Küste liegt die kleine Insel Coral Island, auf der 1115 n. Chr. eine Kreuzritterburg gebaut wurde. Nach dem Fall Jerusalems im Jahre 1187, wurde sie von Saladin, dem Sultan von Ägypten, zur Festung umgebaut. Heute wird dort wieder gebaut, aber leider eine Bettenburg. Als es dunkel wird, kommen wir in Nuweibah an und mieten wir uns eine kleine Hütte direkt am Strand. Von dort aus erkunden wir die Ostküste des Sinai. Wir haben an der Grenze ein Visa bekommen, das nur für den Küstenstreifen von Taba bis Sharm el Sheik und für das St. Katharinen-Kloster, etwas weiter im Landesinnern, gültig ist. Es waren aber doch einige hundert Kilometer auf Straße und zum Teil endlich auf Schotter und Sand zu erkunden. Damit die Kultur nicht zu kurz kommt, besuchen wir auch das Katharinenkloster. Es wurde 527 n. Chr. gebaut und liegt 1570 m hoch in den Bergen des Sinai. An dieser Stelle soll Gott Moses als brennender Dornenbusch erschienen sein. Das Kloster beherbergt die nach der Bibliothek des Vatikans wertvollste Bibliothek mit ca. 3500 religiösen Manuskripten. Im 12. Jhd. stand eine Moschee in den Klostermauern, heute ist an deren Stelle eine griechisch-orthodoxe Kirche getreten. Vom Kloster aus kann man den 2285 m hohen Jebel Musa (Mosesberg) besteigen. Auf seinem Gipfel soll Moses die 10 Gebote empfangen haben. Viele Pilger nehmen den Weg auf sich, um dort zu beten und den herrlichen Sonnenaufgang zu erleben. Auch für die Moslems ist dieser Berg heilig, weil Mohammeds Pferd Buraq bei der Himmelfahrt ihn als letzte Stufe berührt haben soll. Wir ersparen uns den Aufstieg zwischen den Pilgermassen und suchen uns ruhigere Plätze, um die Landschaft zu genießen.
Nach einigen Tagen Aufenthalt auf dem Sinai besorgen wir uns die Fährtickets nach Aqaba und fahren zum Hafen. Die 2. Klasse ist ausgebucht, deshalb ist die Fähre überfüllt mit arabischen Passagieren. Da man als westlicher Tourist immer die erste Klasse buchen muss, verbringen wir die Überfahrt in der fast leeren Erste-Klasse-Lounge. Das Schiff ist sehr alt und braucht für die Überfahrt 5,5 statt der angegebenen 3,5 Stunden. Einer Legende nach folgt der Fähre immer ein Schwarm Haifische in freudiger Erwartung, dass es bald viel Futter gibt. Uns schaudert bei dem Gedanken, dass das Schiff sinken könnte. Als der Hafen endlich in Sicht ist, drängen wir uns durch die Menge zu unseren Maschinen unter Deck. Die Luft dort ist zum Schneiden dick und wir bekommen kaum noch Sauerstoff zum atmen. Seit einer halben Stunde schon laufen die Motoren der Lastwagen und Pkws im Bauch der Fähre. Die arabischen Mitreisenden lassen ebenso erwartungsvoll wie unnötig ihre Motoren warmlaufen. Endlich öffnet sich die Rampe und nur schwer kann sich das Licht einen Weg durch den Dieselqualm in das Innere des Schiffs bahnen. Nach einer weiteren, endlos erscheinenden Viertelstunde rollen wir an Land. Endlich können wir wieder frische Luft atmen. Ein jordanischer Zöllner winkt uns zu sich und ruft freudig: "Welcome to Jordan". Er begrüßt uns wie alte Freunde mit Handschlag und erklärt uns den Weg zur Pass- und Fahrzeugkontrolle. Nach einer halben Stunde sind unsere Pässe und die Carnets abgestempelt. Nach der Gepäckkontrolle öffnet sich das Tor und wir sind endlich in Jordanien, wir können es kaum glauben.
Als wir später durch die Souks von Aqaba laufen, sind wir von der Fülle der Eindrücke überwältigt. Die feilgebotenen Gewürze hüllen uns in tausend verschiedene Geruchswolken, überall schreien Händler und preisen ihre Waren an. Aus unsichtbaren Lautsprechern tönt orientalische Musik, fehlende Klangqualität wird durch Lautstärke wettgemacht. Wir sind überrascht von der Freundlichkeit der Menschen. Fast alle nicken uns zu oder rufen: "Welcome to Jordan" oder einfach "Hello". Auch die Händler sind nicht so aufdringlich wie z. B. im Maghreb oder der Türkei. Wenn wir uns in den Geschäften oder an den Verkaufsständen etwas anschauen wollen, geht das auch ohne aufdringliches Geschwätz und Kaufzwang. Am Rande eines belebten Platzes finden wir ein schönes Restaurant. Von unserem Tisch aus können wir dem bunten Treiben zusehen und dabei unseren Fisch auf Reis genießen. Da die Portionen riesig sind, teilen wir die Mahlzeit mit einigen Katze n, die um unsere Beine schnurren. Nach dem Essen geht es weiter durch die Stadt, es gibt viel Neues zu entdecken. Erst spät in der Nacht fallen wir in unser Bett, beeindruckt vom Zauber des Orients.
Am nächsten Morgen, als wir die Stadt bei Tageslicht sehen, sind wir wiederum begeistert. Der Kontrast zu den Wüstenlandschaften des Sinai und, wie sich später herausstellt, auch zu denen des östlichen Jordanien, kann kaum größer sein. Aqaba liegt eingerahmt zwischen Bergen und grünen Palmen am herrlich blauen Wasser des Roten Meeres. Die Stadt ist sauber und voll quirligen Lebens. Die großen Lkws müssen auf einer Umgehungsstraße zum etwa 13 km südlich liegenden Hafen fahren und belasten nicht die Innenstadt mit Lärm und Gestank. Die Küste ist seit mehr als fünftausend Jahren besiedelt, deshalb findet man in und um Aqaba zahlreiche Zeugen der Vergangenheit. Ein Beispiel ist die Siedlung Tell Maquss, die an der Straße zum Flughafen liegt. Archäologische Funde werden bis in die Kupferzeit datiert, d. h. bis ca. 3500 v. Chr. Ein weiteres Beispiel ist Tell el Kheleifeh, eine edomitische Siedlung nah bei Aqaba, aus der Zeit ca. tausend Jahre v. Chr. Auch Phönizier, Nabatäer und Ptolomäer waren hier einmal beheimatet. Die Via Nova Traiana, die von Ailana, der Stadt am Meer, über Petra und Amman bis nach Damaskus in Syrien führt, zeugt von der einstigen Herrschaft der Römer auch an diesem Ort. Größte Bedeutung erlangte die Stadt jedoch ca. 630 Jahre n. Chr., als die Araber dort eine Militärbasis für die Eroberung Palästinas einrichteten. Damals hieß die Stadt Ayla. Der heutige Namen der Stadt stammt von einem nordöstlich gelegenem Pass, der von den Mekkapilgern "Aqabat Aila" genannt wurde, was soviel wie Abstieg nach Aila bedeutet.
Nach dem wir einige Tage in der pulsierenden Stadt verbracht haben, sehnen wir uns wieder nach der Einsamkeit auf dem Land. Über die King's Road fahren wir nach Norden zum Wadi Rum, das als jordanische Variante des Monument Valley angesehen wird. Die im Reiseführer beschriebene Südzufahrt auf Schotter bzw. Sand finden wir leider nicht. Die eingeschlagenen Wege enden jedes Mal im Nichts. Also wieder zurück zur Straße und auf dem normalen Weg ins Wadi einfahren. Dort erwartet uns eine frisch gebaute Straße mit einer mehrere Zentimeter dicken Rollsplittschicht. Wir lassen die Maschinen laufen, dass es nur so spritzt. In der Ortschaft Rum endet die Straße, und es geht auf Sand weiter. Die Oberfläche sieht fest aus, was sich allerdings als Trugschluss erweist. Kaum sind wir ein paar Meter von der Piste weg, stecken wir auch schon bis zur Achse fest. Nach und nach lernen wir dazu und fahren kilometerweit querfeldein durch die karge Landschaft. Je weiter wir ins Wadi hinein fahren, desto imposant er wird die vorbeirauschende Kulisse. Die Felsgebilde sind mehrere hundert Meter hoch und leuchten in den verschiedensten Farben. Dazwischen liegen Sandebenen, die zum Teil mit kargen Sträuchern bewachsen sind. Die Araber nennen das Wadi Rum auch Tal des Mondes, weil man sich in der Weite der Landschaft mit ihren zerklüfteten Bergen wie auf einem fremden Planeten ausgesetzt fühlt. Lawrence von Arabien schrieb in seinem Buch (T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit): "Unsere kleine Karawane wurde befangen, zunehmend still und ängstlich und schämte sich ihrer Kleinigkeit im Angesicht der erstaunlichen Berge.... Landschaften in Kindheitsträumen waren so weit und still." Das Fahren im Sand kostet natürlich gehörig Kraft, wir beschließen deshalb, die Sache nicht zu übertreiben und fahren bis nach Rum zurück. Der Ort Rum besteht aus einer Anzahl Häuser und kleinen Ansammlungen von Beduinenzelten. Im Government Rest House leeren wir zwei Flaschen Wasser auf ex und lassen uns das vom Koch empfohlene Homos (Kichererbsenbrei) mit Fleisch schmecken. Frisch gestärkt mieten wir uns dann zwei Kamele samt Führer und lassen uns von den Wüstenschiffen in ein Beduinenlager tragen. Dort bekommen wir erst einmal Tee gereicht, bevor wir ein Stück weit durch die Berge laufen und einige Felsen bestaunen, die über und über mit alten Gravuren bedeckt sind. Die Bilder stammen aus der Jungsteinzeit und zeigen Menschen und Tiere, die hier einmal heimisch war en. Nach unserer Rückkehr ins Lager geht es gleich wieder auf die schaukelnden Vierbeiner. Der Rückweg kommt mir doppelt so lang vor. Vielleicht weil ich jeden Holzsteg des Sattels an meinem verlängerten Rückgrat spüre. Schließlich werde ich sogar etwas "seekrank". "Wenn ich doch nur schon wieder auf meinem stählernem Kamel sitzen könnte", denke ich. Endlich wieder bei unseren Enduros angelangt, wollen wir gleich ins benachbarte Wadi Disi weiter. Dazu fahren wir erst einmal einige Kilometer auf der Asphaltstraße zurück, bis zur Gabelung beim Bahndamm und biegen dann nach rechts auf die parallel zu den Gleisen verlaufenden Straße ab. Nach kurzer Zeit werden wir von ausgedehnten Schwemmtonebenen empfangen. Der Boden ist knochenhart und rissig, aber topfeben. Wir fegen mit ca. 130 Sachen durch die schier endlosen Weiten. Ulli ist nur noch ein winziger Punkt, der parallel zu mir über die Ebene saust. Die vermeintlich nahen Felsen, auf die wir zufahren, kommen uns schier unerreichbar vor. Seit einigen Minuten schon fahren wir mit diesem Tempo in ihre Richtung und kommen doch nicht näher. Dafür tauchen bald quer vor uns kleine Gräben auf, die nicht sehr tief, aber bei dieser Geschwindigkeit dennoch gefährlich sind. Wir lassen es nun ruhiger angehen und machen erst einmal eine Fotopause. Aber es ist unmöglich, diese Weiten auf ein 24x36 mm kleines Dia zu bannen. Der Blick durch den Sucher kann die Wirklichkeit nicht einfangen. Nur allzu bald sind wir wieder zurück auf der geteerten Straße, die uns schnell aus dieser bezaubernden Landschaft entführt. Als wir wieder in Aqaba ankommen, ist es schon dunkel.
Seit drei Stunden schon sitzen wir nun wieder auf unseren bepackten Maschinen. Wir sind auf dem Weg nach Petra, der geheimnisvollen Felsenstadt der Nabatäer. Die Straße, wieder die alte King´s Road, ist sehr schmal und kurvig und führt meist bergauf. Auf den kargen Feldern entlang der Straße arbeiten Frauen. Wenn wir vorbeifahren, richten sie sich auf und winken uns zu. Hirten treiben Schafe und Ziegen durch das steinige Land. Ab und zu kreuzt eine Herde die Straße, und wir müssen warten. Hier in den Bergen ist es recht kühl, und in einer dieser Wartepausen ziehen wir unsere Jacken über.
Als wir über einen kleinen Pass kommen, bietet sich uns ein grandioser Anblick. Vor uns öffnet sich ein Tal mit unzähligen Felsformationen, Klippen und Abbrüchen. Weit in der Ferne sieht man ein weißes Gebäude auf einem Gipfel stehen. Es ist das Grabmal des Aaron, dem Bruder von Moses. Es sind nun nur noch wenige Kilometer bis Petra. In Petra selbst ist der Teufel los. Viele Reisebusse drängen sich durch die engen Gassen. Der ganze Ort besteht nur aus Baustellen. Überall werden neue Hotels und Restaurants aus dem Boden gestampft. Wir bekommen nur noch in einem, auf den ersten Eindruck etwas schäbigen Hotel eine Unterkunft. Die Zimmer dort sind zwar klein aber sauber, und es gibt auch eine Dusche mit warmen Wasser. Der "Speisesaal" ist auf dem Dach des Hauses, und man hat einen schönen Ausblick über die gesamte Baustelle, äh, ich meine Ortschaft. Das Abendessen ist einsame Klasse, optisch ansprechend zubereitet, geschmacklich großartig und mengenmäßig riesig. Einen Nachteil hat das Hotel aber doch, um fünf Uhr morgens beginnt der Muezzin (der direkt vor dem Fenster zu stehen scheint), die Menschen zum Gebet zu rufen. Da wir sowieso um sechs Uhr aufstehen wollten, ist es aber halb so schlimm. Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Taxi zum Eingang der Ausgrabungsstätte und sind schon vor sieben Uhr am wohl meist fotografierten Punkt Jordaniens, El Khazneh, dem sogenannten Schatzhaus von Petra. Durch den Ausgang der Schlucht sieht man zunächst n ur einen Teil der in den Sandstein gehauenen Säulen. Wir gehen weiter, und stehen nach einigen Metern vor der ca. 40 m hohen und fast ebenso breiten Fassade, komplett aus dem Buntsandstein gemeißelt. Säulen, Tore, Figuren, Türme und Bilder, alles leuchtet in warmen Tönen von weiß bis dunkelbraun. Wir laufen durch das ganze unwegsame Gelände, erklimmen hohe Berge auf schmalen Pfaden und durchwandern kleine Wadis. Überall finden wir die Spuren der Nabatäer, die ca. 350 v. Chr. er st als Räuber, später dann als Händler an der Karawanenstraße zwischen Mekka und Damaskus zu Reichtum kamen. Von kleinen behauenen Steinen bis zu ganzen modellierten Felswänden reicht die Palette. Die in den Berg gehauenen Höhlen mit ihren imposanten Fassaden haben Nischen, in denen die Toten bestattet wurden. In ihrem Inneren wurden Feste im Kreise der Ahnen gefeiert. Die Nabatäer selbst wohnten in Zelten im weit verzweigten System der Schluchten. Nach den kilometerweiten Wanderung en in der Hitze des Tages, schleppen wir uns am Abend wieder zu unserer Unterkunft zurück und wissen nicht, ob wir am nächsten Tag vor lauter Muskelkater überhaupt noch Motorrad fahren können.
Wir können! Die nächste Etappe soll uns zu den heißen Quellen von Ma´in führen. Ein Tal in der Nähe des Toten Meeres, in dem heißes Wasser aus der Erde sprudelt. Tatsächlich sind es ganze Wasserfälle, die sich aus ca. 30 m Höhe in natürlich entstandene Sinterbecken ergießen. Die Temperatur in den Becken ist etwas über der von Badewannenwasser, also sehr gut geeignet, um uns von unserem Muskelkater zu kurieren. Die einheimischen Frauen sitzen mit ihrer kompletten Kleidung samt Kopftuch und Schuhen im Wasser. Es ist ein Anblick, der uns schmunzeln und uns darüber nachdenken lässt, wie lange es her ist, dass die Menschen bei uns zuhause in einem Badeanzug im wahrsten Sinne des Wortes zum Schwimmen gingen? Wir bleiben einige Tage zum Relaxen und machen Ausflüge in die Umgebung.
Die nächste Stadt bei den heißen Quellen ist Madaba, deren Geschichte 3500 Jahre weit in die Vergangenheit zurückreicht. Wie im Buch Josua erwähnt wird, war Madaba die erste Siedlung in der Ebene von Moab, die von den Israeliten erobert wurde. Bei Madaba besiegte Davids Heer die Streitkräfte der Moabiter und Ammoniter. Der moabitische König Mesha befreite dann in der Mitte des 9. Jh. v. Chr. die Stadt, wie auf seiner Stele erwähnt wird, auf der seine größten Erfolge verewigt wurden. Das Original der Stele steht im Louvre in Paris, Kopien befinden sich im Mosaikenmuseum in Madaba und im Archäologischen Museum in Amman. Nach den Moabitern beherrschten die Nabatäer und die Römer die Stadt. Im 6. Jh. n. Chr. wurde sie sogar Bischofssitz. Im Jahre 1890 wurde der bedeutendste Kunstschatz der Stadt freigelegt, das Palästinamosaik. Es gilt als die älteste erhaltene Landkarte und zeigt das heilige Land, mit Jerusalem im Zentrum, und die angrenzenden Gebiete. Man findet die Karte auf dem Boden der griechisch-orthodoxen Kirche des heiligen St. Georg in Madaba. Als wir nach langem Suchen endlich das Mosaikenmuseum in einem kleinen Hinterhof fanden, war es leider wegen Renovierung geschlossen. Zu gern hätten wir uns dort noch etwas in die Vergangenheit getastet.
Ca. 10 km westlich von Madaba liegt der Berg Nebo. Hier soll Moses gestanden haben, als er das gelobte Land erblickte, das er nur sehen aber nie betreten durfte, weil er an den Worten Gottes zweifelte. Von Siyagha aus, einem der beiden Gipfel des Nebo, bietet sich ein sehr schönes Panorama. Man sieht den Jordan am Fuß des Plateaus fließen und in der Ferne die Silhouetten der Berge von Judäa und Samaria. An besonders klaren Tagen kann man bis nach Jerusalem sehen. Auf dem Gipfel selbst stehen eine Basilika und ein Kreuz, das von einer Schlange umwunden wird. Letzteres soll an das Kreuz Jesu und an die Kupferschlange erinnern, die Moses in der Wüste gießen ließ. Die Gebiete von Nebo, Siyagha (710 m) und der zweite Gipfel el-Mukkayyet (790 m) wurden 1934 von Franziskaner-Mönchen erworben, die mit Ausgrabungen begannen und in der Basilika ein kleines Museum mit byzantinischen Mosaiken unterhalten.
Da es keine offizielle Verbindung von Ma´in aus zum Toten Meer gibt und wir uns einen langen Umweg ersparen wollen, suchen wir uns eine schöne Offroad-Strecke, die in die gewünschte Richtung führt. Bald jedoch wird der Pfad so steil, dass die Maschinen mit beiden blockierenden Rädern immer weiter ins Tal rutschen und uns ein Anhalten unmöglich machen. Zum Glück finden wir eine Stelle zum Wenden und fahren dann doch auf Umwegen zum ersehnten Bad in dem mit 20 % Salz angereicherten Wasser. Wir finden eine schöne Stelle zum Baden, menschenleere Abgeschiedenheit so weit das Auge reicht. Vom Berg herab ergießt sich eine heiße Quelle in kleine, aus dem Stein gehöhlte Becken, in denen wir uns nach dem Bad das Salz abwaschen können. Wie komfortabel die Natur doch sein kann.
Einige Tage später. Wir stehen an einer Kreuzung in Amman und versuchen uns zu orientieren. Die meisten Straßennamen sind in arabischer Sprache geschrieben. Nur für die großen und wichtigen Straßen gibt es Übersetzungen ins Englische. Allerdings sind die Namen so lang und einander ähnlich, dass das Lesen während der Fahrt und bei diesem Verkehrsaufkommen fast nicht möglich ist. Vier bis fünf Spuren in eine Richtung, die von ca. acht Autos nebeneinander genutzt werden. Hin und wie der ein Kreisel, der die Spuren in alle Richtungen verteilt. Ich fragte einen Taxifahrer nach dem Weg zu unserem Hotel. Er zeigte in eine Richtung und meint: "Ten Kilometers, ten Kilometers". Wir fahren in besagte Richtung und fragen dann lieber noch einmal nach. Der Befragte schickt uns wieder in die entgegengesetzte Richtung. Als wir nach einigem Hin und Her endlich im Hotel ankommen, erklärt uns der Besitzer, dass ein Araber lieber einen falschen Weg nennt, als den Fragenden ohne Antwort stehen zu lassen. Amman ist für die nächsten Tage unser Basislager. Von dort aus starten wir zu Besichtigungsausflügen in den Norden Jordaniens. Zunächst fahren wir nach Osten in Richtung irakische Grenze. Von dort aus kann man auf einer Rundfahrt die mehr oder weniger gut erhaltenen Ruinen ehemaliger Wüstenschlösser besichtigen. Die Innenwände von Quasr Amra zum Beispiel, zeigen recht gut erhaltene frühislamische Malereien. Es sind sogar Menschen und Tiere dargestellt - in der späteren Entwicklung des Islam wurden Darstellungen von Personen verboten. Die Festung Al Azraq, einige Kilometer weiter, war sogar eine Zeit lang Stützpunkt des berühmten Lawrence von Arabien. Als wir dort ankommen, begrüßt uns ein Wüstenpolizist aufs herzlichste und zeigt uns ein gezeichnetes Portrait von Lawrence, angeblich noch aus der damaligen Zeit. Bemerkenswert an der Festung ist, dass sie komplett aus Stein gebaut ist. Es gab noch nicht einmal Holzbalken für die Decke, alles wurde mit steinernen Bögen oder mit aus Stein gehauenen Balken gebaut. Selbst die Eingangstür besteht aus einer riesigen Steinplatte, die sich aber wider Erwarten leicht bewegen lässt. Die anderen Festungen in diesem Gebiet sind aus unserer Sicht nicht ganz so sehenswert. Es sind relativ einfache, schmucklose Gebäude, mehr oder weniger verfallen. Nordwestlich von Amman liegt Jerash, eine Stadt aus der Zeit des römischen Reiches. Sie war für damalige Verhältnisse sehr groß (ca. 25000 Einwohner) und dementsprechend pompös gebaut. Auffällig ist der große ovale Platz am Ortseingang, in dem drei Straßen münden. Die größte von ihnen ist über einen Kilometer lang und an beiden Seiten wie eine Allee von Säulen eingerahmt. Die Stadt hat drei Amphitheater, von denen bisher zwei wieder aufgebaut wurden. Eine Anzahl Tempel und frühchristliche Kirchen wurden restauriert und zeigen schöne Bodenmosaiken. Die Straße zurück nach Amman führte uns durch kleine niedrige Wälder und vorbei an grünen Flusstälern. Es ist seit langem wieder das erste Grün, das wir zu Gesicht bekommen. Amman selbst erobern wir lieber mit dem Taxi, zum einen können wir dazu luftigere Kleidung wählen, zum anderen können wir in dem Gewirr von Einbahnstraßen und chaotischen Verkehrsverhältnissen unsere Aufmerksamkeit ganz der Stadt widmen. Hatte Amman im Jahre 1900 noch 2000 Einwohner, so stieg ihre Zahl bis heute auf fast eine Million an. Eine moderne Großstadt, die weniger durch schöne Architektur begeistert als durch ihr vielseitiges Gesicht. Neben Mietskasernen im Einheitslook und Bürokomplexen aus Beton finden sich dort kunstvoll verzierte Moscheen, wie die ganz in schwarz und weiß gehaltene Abu Darwish Moschee oder die riesige King Hussein Moschee. In den Souqs nahe der Hussein-Moschee warten Basarhändler mit Gewürzen, Goldschmuck, Süßigkeiten, Parfüms und Souvenirs auf die Kunden. Und wem danach ist, findet sogar die arabischen Varianten der Mc´s und Kings mit ihrem Fast Food Angebot. Hoch über der Stadt liegt eine römische Ausgrabungsstätte, nah dabei das Archäologische Museum mit interessanten, nach den verschiedenen Zeitaltern geordneten Funden. Von dort aus hat man auch einen schönen Überblick über einen Teil der Altstadt, mittendrin das etwas deplaziert wirkende Römische Theater aus dem 2. Jh. n. Chr. Neben moslemischer Kultur mit zahlreichen Moscheen, traditionell gekleideten Männern, verschleierten Frauen und den nach Zünften geordneten Basaren gibt es moderne Geschäfte und Restaurants, viele Frauen die sich in moderner westlicher Kleidung zeigen und auch wie bei uns, den Möchtegern-Yuppie an der Ecke mit einem Handy am Ohr. An unserem letzten Abend in Jordanien schlendern wir noch lange durch die Straßen, bummeln durch die Geschäfte, oder sitzen in einem der zahlreichen Straßencafés. Der Abschied fällt uns schwer. Noch nie hat uns ein Land so sehr in seinen Bann gezogen. Jordanien war nicht nur eine Reise, es war ein Erlebnis.