Flucht vor dem Weihnachtsrummel


Gute 24 Stunden nach dem Start in Karlsruhe sind wir am frühen Nachmittag in Almeria angekommen. Das Anhängergespann haben wir zwar wie gewohnt in Almeria abgestellt, aber diesmal wollen wir die Fähre von Algeciras nach Ceuta nehmen. Nachdem die Maschinen abgeladen sind und wir einen ersten spanischen Imbiss vertilgt haben, legen wir uns an den Strand und ruhen uns für den Rest des Tages von der Anfahrt aus. Der Himmel ist wolkenlos und die Sonne temperiert die Luft auf 20°C. So lässt sich die Vorweihnachtszeit aushalten ;-)

Schon vor 07:00 Uhr verlassen wir den Campingplatz. Noch ein kurzer Stopp an der Tankstelle in Aguadulce zum Luft prüfen und dann geht es endlich los. Rechts ab auf die Schnellstraße Richtung Malaga und der Maschine die Sporen geben. Kurz darauf ruckelt und spotzt der Motor, Geschwindigkeiten über 70-80 km/h sind nicht mehr möglich, große Fragezeichen vor meinem Gesicht. Wir halten an und ich untersuche mit der Taschenlampe die Stellung der Benzinhähne und die Benzinleitungen soweit sie sichtbar sind. Nichts außergewöhnliches zu entdecken. Erneuter Startversuch, Motor läuft normal. Also erst mal weiter. Kurz darauf die gleichen Symptome. Ich ruckele die Maschine langsam bis zur nächsten Tankstelle weiter, da gibt es vielleicht etwas Licht für die Fehlersuche und mehr Platz als auf dem Randstreifen der Schnellstraße. An der Tankstelle angekommen finden wir Platz unter einer Laterne und ich beginne mit der Fehlersuche. Von den Symptomen her könnte es eine fehlerhafte Tankentlüftung sein. Also Tankdeckel checken und Probefahrten ohne Tankrucksack und mit und ohne Tankdeckel. Alles unverändert. Also dann tiefer suchen. Verkleidung, Sitzbank und Tank abbauen. Am Tag vor der Abfahrt habe ich die original Benzinpumpe durch eine Unterdruckpumpe ersetzt. Die Probefahrt danach verlief einwandfrei. Ich untersuche alle Leitungen und Anschlüsse. Tatsächlich ist die Leitung von Pumpe zu den Vergasern etwas lang und hat einen Knick. Das muss es sein. Ich kürze die Leitung und verlege sie etwas anders, so dass kein Knick mehr entstehen kann. Alles wieder zusammenbauen und ab zur Probefahrt. Yipiieehh, die Kiste läuft wieder einwandfrei. Schnell wieder zurück, Gepäck aufladen, Hände waschen und in der Tanke gefrühstückt - soviel Zeit muss jetzt sein ...

Nach einigen Kilometern verlassen wir die Schnellstraße und fahren auf der Küstenstraße weiter. Links das Meer, über uns der blaue Himmel und rechts die Berge. Brrr, da oben liegt ja Schnee. Da kommen uns die 12 Grad hier unten gleich viel kälter vor. Bei Malaga geht es wieder auf einer Schnellstraße weiter. Sie ist meist zweispurig und man kommt flott voran, aber die Fahrt ist trotzdem ätzend und die Ortsdurchfahrten sind etwas chaotisch. Irgendwann kommen wir endlich in Algeciras an. Jetzt geht alles ganz flott. Tickets besorgen und gleich rauf auf die Fähre. Kaum sind wir drauf, schon legt das Schiff ab. Ich hole uns einen Kaffee und werde von einem Harley-Fahrer angesprochen, der mit seiner Freundin als Sozia unterwegs ist. Eigentlich machen sie eine Spanientour, aber die Nähe zu Nordafrika hat sie zu einem Sprung über das Mittelmeer animiert - so hat es bei mir vor 15 Jahren auch mal angefangen ;-) Kaum haben wir etwas über Marokko gequatscht, laufen wir auch schon im Hafen von Ceuta ein. Nur 35 Minuten für die Überfahrt, irgendwie können wir gar nicht glauben, den Kontinent gewechselt zu haben. Mindestens genau so lange brauchen wir dann aber, bis wir aus dem Hafen draußen sind. Schnell düsen wir weiter zur Grenzstation. Ceuta ist ja eine spanische Enklave auf dem afrikanischen Kontinent und wir sind formell gesehen noch in Spanien. Kurz vor der Grenze tanken wir zollfrei voll (0,61 €/l) und fahren dann an der langen Autoschlange vorbei, die sich vor der Grenzstation aufgereiht hat. Nun muss ich mich in das Gewühl vor dem Schalter stürzen um unsere Einreise abzuwickeln. Nachdem unsere Pässe abgestempelt sind, müssen noch die Fahrzeuge eingetragen werden. Bei Vronis Maschine gibt es keine Probleme, aber meine Twin steht angeblich noch seit letztem Jahr in Marokko. Ich muss den "Chef du Douane" suchen und die Sache abklären lassen. Wie lange wird das wohl dauern? Etwas missmutig mache ich mich auf die Suche nach dem Chef. Doch welch ein Wunder, ich finde ihn sofort und innerhalb von zwei Minuten ist alles geklärt. Ging doch viel schneller, als ich zunächst gedacht hatte. Jetzt noch zweimal den Pass vorzeigen und wir sind endlich in Marokko ...

Da es mittlerweile langsam dämmert, müssen wir uns sputen, um mindesten noch bis Chefchaouen zu kommen. Linkerhand leuchtet das Massiv des Djebel Kelti in der Abendsonne, während wir ziemlich kurvenreich nach Süden rauschen. Diese Bergzüge könnten genauso in den Alpen stehen, wenn man sich statt der Minarette in den Dörfern Kirchtürme vorstellt. Ab und zu stehen ein paar Leute an der Straße und winken uns mit in Alufolie verpackten "Bällchen" zu. Die wollen uns ihr Hasch verkaufen, dafür ist das Rif-Gebirge ja berüchtigt. Kurz vor Chefchaouen ist es dann völlig dunkel. Wir werden in halsbrecherischer Weise von marokkanischen Autos überholt, die es wohl mehr als eilig haben - zumindest bergab. An den Steigungen kommt nur noch schwarzer Qualm aus dem Auspuff und mehr als 20 - 30 km/h schaffen die meist altersschwachen Gurken kaum noch. So gelangen wir endlich in die "Stadt wo Milch und Honig fließen", wie Chefchaouen wegen seines Wasserreichtums auch genannt wird. Chefchaouen heißt übersetzt etwa "schau die Hörner". Damit ist das Bergmassiv hinter dem Ort gemeint, das die Form von Hörnern hat. Jetzt im Dunklen können wir das natürlich nicht sehen und so machen wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft. Das letzte mal war ich vor 15 Jahren hier und kann mich noch an ein Hotel hoch oben über dem Ort erinnern. Wir kämpfen uns durch die Tücken der Straßen. Wir werden von einer steil ansteigenden tiefsandigen Baustelle mitten im Ort überrascht, drängen uns durch übervölkerte enge Gassen und haben ein wenig Orientierungsschwierigkeiten im Dunkeln. Aber irgendwann haben wir die Herberge dann doch gefunden. Theoretisch mussten wir ja immer nur bergauf fahren. Wir bekommen ein Zimmer mit Blick über das ganze Tal. Die Motorräder werden sicher im Generator-Schuppen eingeschlossen. Leider ist das Abendessen ziemlich überteuert - wie auch das Zimmer. Aber vor lauter Müdigkeit merken wir das erst beim Frühstück, als wir unsere Finanzen durchrechnen. Wir haben noch ca. 800 DH (ca. 80 €) vom letzten Jahr dabei und müssen uns unbedingt noch weitere Dirhams besorgen. Das Geld reicht gerade, um unsere Hotelrechnung zu bezahlen. So teuer soll es in Zukunft aber nicht mehr werden. Als kleinen Ausgleich für die hohen Preise, weckte uns früh morgens der Muezzin mit einem wirklich schönen Gesang, wie man ihn wirklich nur selten hört. Es machte wirklich Spaß dem Ruf zum Gebet zuzuhören.

Ein Stück weit hinter Chefchaouen biegen wir südwestlich ab und folgen dem Tal eines Flüsschens. So grün wie hier habe ich Marokko noch nie gesehen. Weite grasbewachsene Ebenen, Olivenplantagen und der Straßenrand voller kleiner bunter Blumen. Riesige Pfützen auf den Feldern zeugen aber auch von starken Regenfällen. Wir können uns auch noch an die Zeitungsartikel in Deutschland erinnern, die kurz vor unserem Urlaub von den verheerenden Regenmassen und auch einigen Todesopfern berichteten. An der Straße gibt es zahlreiche Mühlen, in denen das Öl der hier angebauten Oliven gewonnen wird. Dazu zieht ein Maultier einen großen Mühlstein auf einem ebenfalls steinernen Fundament wie ein Rad im Kreis und drückt dabei das Öl aus den Oliven. Überall werden die typischen gelben Kanister mit dem Öl angeboten. Die ausgepressten Reste der Früchte liegen in großen Haufen am Straßenrand, wahrscheinlich werden sie als Viehfutter verwendet. In Ouazzane legen wir eine Teepause ein und bei der Gelegenheit ziehen wir uns am Geldautomaten gleich noch die notwendigen Dirhams für die nächsten Tage. Das Städtchen macht einen netten Eindruck, geschäftiges Treiben auf den Straßen, aber dennoch etwas verschlafen. Nach der Pause halten wir uns wieder mehr südlich und lassen den Rif hinter uns. Nachdem wir in Meknes getankt haben, erklimmen wir den mittleren Atlas. Hinter El-Hajeb erreichen wir die knapp 1.500 m hohe Paysage d'Ito. Von hier oben hat man einen genialen Überblick über die tiefer liegende bergige Landschaft. Trotz der Höhe ist es für diese Jahreszeit ziemlich warm, einfach genial. Kurz darauf erreichen wir Azrou und quartieren uns im gleichnamigen Hotel ein. Hier bin ich vor Jahren mal im Schnee steckengeblieben, heuer ist es (relativ) warm und alles völlig schneefrei. Der Ort ist nach dem großen Felsen in seinem Zentrum benannt (Azrou bedeutet übersetzt Fels). In diesem gibt es einige Höhlen, die anscheinend heute noch als Schlafplatz benutzt werden. Beim nachmittäglichen Spaziergang wundern wir uns darüber, warum so viele Leute ganz oben an der Spitze des Felsens sitzen. Als wir um den Felsen herum sind, erkennen wir den Grund. Auf dem dahinterliegenden Fußballplatz findet ein Spiel statt und von dort oben kann man kostenlos zuschauen. An der schönen Moschee vorbei führt uns der Weg zu einem Platz mit angrenzendem kleinen Souk. Auffallend sind die zahlreichen Konditoreien um den Platz, die süße Leckereien wie Torten, Pralinen und Plätzchen feilbieten. Nachdem wir den Souk durchstreift und uns anschließend im Internetcafé (sehr langsame Anbindung) zuhause gemeldet haben, gehen wir zum Abendessen ins Restaurant Relais Forestiere, direkt am Place Mohammed V. Wir sitzen zum Essen draußen, wo es nach Sonnenuntergang zugegebenermaßen doch etwas kühl, aber noch zum aushalten ist. Das Essen ist lecker und die Bedienung sehr nett, das Lokal also ein guter Tipp.

Nach dem Frühstück schauen wir uns im Kunsthandwerkszentrum um. Hier kann man alten Männern beim Schnitzen und jungen Frauen beim Weben zuschauen. Die Produkte werden dort zu Festpreisen verkauft. Auf dem Rückweg ergänzen wir noch unsere Wasservorräte bevor wir weiterziehen. Azrou liegt bei einem großen Waldgebiet dem Forêt de Cèdres. Um uns die größte Zeder Marokkos anzuschauen weichen wir zunächst von unserer eigentlichen Reiseroute ab und halten uns Richtung Ifrane. Wir folgen der Beschilderung, biegen auf einen asphaltierten Waldweg ab und zirkeln den Berg hinauf. Unvermittelt stehen wir dann vor dem 40 Meter hohen Baum. Leider haben sich um den Baum herum zahlreiche Händler mit ihren Ständen niedergelassen. Entsprechend sieht der Wald hier auch aus, aber die Leute müssen halt auch ihren Lebensunterhalt verdienen. Eine weitere Attraktion sind die hier lebenden Affen. Da wohl viele Touristen herkommen und auch die Händler die Tiere füttern, halten sich im Bereich der großen Zeder zahlreiche Exemplare der kurzschwänzigen Makaken auf. Nachdem wir mit einem der Händler noch um ein Andenken gefeilscht haben, drehen wir wieder um und suchen den Weg nach Midelt. Kurz hinter Azrou biegen wir auf einen Rundweg durch den Zedernwald ein. Zedernwald ist aber etwas übertrieben. Eigentlich sieht es mehr nach Wald mit einigen Zedern darin aus. Aber egal, schön ist es hier allemal. Unterwegs hält uns irgendwann ein Forstarbeiter an und zeigt uns einen Schotterweg zu einem See. Nach einigen Kilometern haben wir ihn gefunden. Er liegt malerisch eingebettet zwischen grünen Hügeln, auf denen einigen Schafherden weiden. Hier könnte man in der wärmeren Jahreszeit schön übernachten. Später erreichen wir einen Abzweig, an dem wir uns entscheiden müssen, ob wir die Ringstraße weiter fahren sollen oder ob wir lieber nach Süden weiter und erst weiter unten wieder auf die Straße nach Midelt einbiegen wollen. Der südliche Weg ist lang und laut Karte geht es später auf einer Piste weiter. Durch die starken Regenfälle der letzten Wochen ist aber alles aufgeweicht und wir wissen nicht, was uns dort noch erwarten wird. Wir entscheiden uns für die Ringstraße, da wir vor dem (kalten) Abend noch den fast 2.200 Meter hohen Col du Zad überwinden müssen. Wieder auf der Hauptroute, verläuft unser Weg eine ganze Weile auf 1.900 Meter Höhe. Trotzdem ist es nie kälter als 12°C. Im Tal hinter dem Pass essen wir verspätet zu Mittag, bevor wir nach Midelt weiterrollen. In Midelt tanken wir und werden dabei von einigen aufdringlichen "Fossilienverkäufern" bedrängt. Eigentlich wollten wir hier noch gemütlich einen Tee trinken, aber die lästigen Händler treiben uns weiter zum Ortsende, wo wir wieder mal im Hotel Kasbah Asmaa absteigen. Nach einem heißen Bad, nehmen wir das Abendessen ganz romantisch am offenen Kamin ein. Zumindest von der feurigen Seite ist uns da kuschelig warm.

Hinter Midelt überwinden wir den 1.900 Meter hohen Col du Taghlamt. An diesem frühen Morgen bietet uns das Thermometer nicht mehr als bibbernde 5°C an. Wir sind froh, als es auf der Südseite wieder abwärts geht. Mittlerweise gibt es hier einen kleinen Zoo mit Kamelen, Lamas und Straußen, aber uns ist für einen Besuch doch etwas zu kalt. Wir passieren den Brunnen "trink und flieh", dessen Name noch aus der Zeit stammt, in der man hier mit Banditenüberfällen rechnen musste. Da wir letztes Jahr schon den Schotter-Abstecher durch das Oued Guir gemacht haben, fahren wir diesmal durch den Gorges du Ziz nach Er Rachidia, damit wir den davor liegenden Stausee auch mal bei Tageslicht sehen. Hinter Er Rachidia biegen wir in das tiefliegende Oasental ab und fahren ein Stück weit durch die Palmen nach Norden. Die Menschen sind hier freundlich, die Kinder winken. Wieder zurück auf der Straße nach Erfoud, verliert die Landschaft immer mehr an Grün. Die Farben wechseln zu grau und braun, die Wüste kommt immer näher. In Erfoud machen wir eine längere Pause. Wir essen zu Mittag und beobachten die Leute auf den Straßen. Dabei überlegen wir, ob wir den Erg Chebbi, den wir schon mehrmals erkundet haben, mitnehmen sollen oder nicht. Wir entscheiden uns für die "faule" Variante und nehmen uns ein Zimmer für die Nacht. Leider wird uns der Schlaf nicht gegönnt, denn wir müssen mit einigen Schnaken kämpfen. Am Morgen stellen wir kratzend fest, dass wir den Kampf wohl nicht ganz gewonnen haben ...

Wir setzen unseren Weg Richtung Rissani fort. Kurz vor der Stadt schwenken wir nach Westen ab. Wir überwinden einige Minidünen, die der Wind auf die Straße geweht hat und folgen weiter dem schmalen Asphaltband. Rechterhand sehen wir in einiger Entfernung einen runden flachen Bergkegel, dessen Form an ein Kolosseum erinnert. Dieser Berg ist mir schon früher aufgefallen, heute wollen wir ihn uns einmal näher anschauen. Es führt sogar eine prima Piste in diese Richtung. Wir geben Gas und ziehen anständige Staubfahnen hinter uns her. Auf halbem Wege verlassen wir die Piste und fahren querfeldein weiter. Beim Näherkommen erkennen wir, dass der Berg an der Vorderseite einen V-förmigen Einschnitt hat, der mit einer hohen Mauer verschlossen wurde. In der Mauer ist ein offener Torbogen, den wir nach überwinden des davor liegenden Sandhaufens durchfahren. Innen öffnet sich ein großer Platz und ein schmaler, etwa autobreiter Weg führt nach oben zur ansteigenden Rückseite des "Kolosseums". Insgesamt ein toller Ort zum Übernachten, den Spuren nach sind wir nicht die ersten, die das erkannt haben. Wir fahren den steinigen Weg nach oben, um uns auch die Rückseite anzuschauen. Am hinteren oberen Rand des Berges gibt es sogar eine Art Wendehammer. Hier fällt die Wand senkrecht tief nach unten ab. Von hier oben aus hat man einen super Ausblick über das rückwärtige weitläufige Tal. Vereinzelte Zeugenberge ziehen sich bis zum Horizont hin. Beim Filmwechsel fällt Vroni auf, dass der Boden auf dem wir stehen voll ist mit versteinerten Muscheln und Krebsen. Wir laufen auf lauter Fossilien herum. Eine tolle Entdeckung dieser Bergkegel, an dem wir schon zigmal achtlos vorbeigefahren sind.

Auf dem weiteren Weg nach Zagora verlassen wir wieder mal die Straße, diesmal nach links. Nach wenigen Kilometern erreichen wir die verfallene Ruine einer Kasbah. Von hier aus lockt uns eine tiefsandige Piste weiter in die Berge hinein, aber wir widerstehen der Verlockung. Zum einen haben wir zuviel Gepäck dabei und zum anderen ist Vronis Bruch vom letzten Jahr zwar einigermaßen ausgeheilt, wir wollen aber trotzdem kein Risiko eingehen. Schweren Herzens fahren wir zur Straße zurück und lassen heute mal die Vernunft siegen. Zu beiden Seiten säumen schwarze Berge unseren Weg. Manchmal rücken sie nahe heran, dann ziehen sie sich wieder weiter zurück und machen Akazien und Arganien Platz, die sich auf den Ebenen ausbreiten. Hinter Nekob wird gerade die Straße Richtung Drâa-Tal verbreitert, schade, die schmale Straße war irgendwie nett. Auch im Drâa-Tal selbst gab es seit letztem Jahr einige Veränderungen. Es gibt nun viele neue Cafés am Straßenrand und die kleinen Orte scheinen immer größer zu werden. Auch Zagora wird von Jahr zu Jahr immer größer. Fuhr man vor Jahren noch durch das steinerne Tor in die Stadt, so beginnt der Ort nun schon ein bis zwei Kilometer vor dem Tor. Viele Geschäfte, Cafés und auch große Tankstellen säumen hier schon die Straße. Wir quartieren uns wieder im üblichen Hotel ein, bekommen diesmal aber nur ein kleines Dachzimmer, statt einem der schönen großen Räume. Egal, wir wollen hier ja nur schlafen. Der Spaziergang durch den Ort ist mittlerweile auch fast ein Spießrutenlaufen. Die Händler in den zahlreichen Geschäften werben ziemlich aggressiv um Kundschaft und versuchen uns immer wieder in ihre Läden zu zerren. Diese Art der Anmache kann ich gerade leiden und ich lasse die Leute das auch spüren. Zumindest auf dem Rückweg haben wir so unsere Ruhe. Eigentlich schade für Zagora, früher war der Ort viel beschaulicher und angenehmer. Auf dem Markt ist heute auch nicht (mehr) viel los. Die meisten Leute haben schon zusammengepackt und machen sich auf den Heimweg. Wenigstens lasse ich mich beim Friseur erst mal wieder anständig rasieren. Dabei werden auch gleich die Haare mit bearbeitet und eine kleine Massage gibt es dazu auch noch.

Wir lassen Zagora hinter uns und fahren wieder gemütlich durch das Drâa-Tal, diesmal nach Norden. Dattelverkäufer stehen am Straßenrand und bieten kleine Körbchen mit den Früchten an. An den Wasserstellen sind Frauen dabei die Wäsche zu waschen. Die bunten Stoffe werden zum Trocknen auf Büsche gehängt, Wäscheleinen kennt man hier anscheinend nicht. Bei einem kurzen Stopp, werden wir sofort von Schulkindern umringt. "Angriff ist die beste Verteidigung", denke ich und bettele sie sofort nach Kugelschreibern und Bonbons an. Nach einem kurzen Schweigen lachen die Kids plötzlich los und behaupten, sie hätten keine. Ich zerre etwas an ihren Schulranzen herum und sage, dass da sicher welche drin wären. Tatsächlich kramt einer einen zerkauten Kuli aus dem Ranzen und legt ihn auf meine Sitzbank. Doch bevor ich zugreifen kann, hat sich schon einer der Mitschüler das Ding unter den Nagel gerissen. Großes Gelächter bei uns allen. Einige Kilometern weiter fällt mir bei einer Ortsdurchfahrt ein Überlandtaxi am linken Straßenrand auf, um das viele Menschen stehen und gerade am aus- oder einladen sind. Irgendwie habe ich eine unbestimmte Vorahnung und drossele die ohnehin schon geringe Geschwindigkeit. Plötzlich löst sich ein kleiner Junge aus der Menschenmenge und will über die Straße rennen. Ich gehe voll in die Eisen und hupe gleichzeitig. Der Junge schreckt zurück, ich rolle vorbei und sehe im Rückspiegel, dass er hinter mir sofort wieder loshechtet, genau vor Vronis Vorderrad. Die bremst so stark, dass sich ihre Alp quer stellt. Der Junge fällt hin, rappelt sich aber sofort wieder auf und rennt davon. Ich drehe um und rolle zurück. Sofort scharen sich die ganzen Leute um uns. Ich frage nach dem Kleinen und folge den anderen Kindern in ein Haus. Drinnen ist es stockdunkel und es riecht eher nach Ziegenstall. Der Junge steht bei seiner Mutter und heult, wohl mehr vor Schreck als dass ihm wirklich was passiert ist. Zusammen gehen wir wieder auf die Straße zurück, wo wir gemeinsam den Knaben "untersuchen". Außer ein paar Abschürfungen am Knöchel, die er sich beim Sturz auf den Asphalt zugezogen hat, ist er in Ordnung. Zwischen ihm und Vronis Maschine gab es zum Glück keinen Kontakt. Ich krame unser Verbandskissen heraus und schneide einige Pflaster zurecht. Die Abschürfungen werden desinfiziert und zugepflastert. Zusätzlich gebe ich ihm ein paar Ersatzpflaster für den nächsten Tag. Währenddessen erkundigt sich der Vater, ob uns auch nichts passiert und ob von unserer Seite her alles in Ordnung sei. Dann bedanken sich die Angehörigen für die Hilfe und wünschen uns eine gute Fahrt. Wir sind froh, dass nicht mehr passiert ist, wer weiß, wie die Situation dann ausgegangen wäre ...

Bei Agdz biegen wir, wie auch schon im letzten Jahr, Richtung Westen ab. Früher begann hier eine nette Piste, nun geht es zunächst knapp 14 Kilometer auf guter Straße weiter, bevor ziemlich unvermittelt der Asphalt endet und der Schotter beginnt. Ab hier ist die Farbe rot in der Landschaft vorherrschend. Der Boden, die Berghügel, selbst die wenigen Häuser gehen Ton in Ton ineinander über. Da es ziemlich staubt, fährt Vroni über einen Kilometer hinter mir. Ab und zu halte ich an und warte, damit wir uns nicht verlieren. An einem Brunnen machen wir Pause. Der Wasserspiegel im Brunnen liegt sicher 15 Meter tief. Ich lasse den Eimer aus einem alten Autoschlauch herunter und hole spaßeshalber mal etwas Wasser hoch. Das kühle Nass ist voller Schwebstoffe, muss deswegen aber nicht unbedingt schlecht sein. Wenn sich das Zeug gesetzt hat, sieht das Wasser ganz gut aus. Trinken möchte ich es aber trotzdem nicht unbedingt müssen. Nachdem wir unsere Müsliriegel vertilgt und unser eigenes mitgeführtes Wasser getrunken haben, ziehen wir weiter. Die Piste endet im Bergbaugebiet von Bou Azzer. Die meisten Minen sind jedoch geschlossen, die Arbeitslosigkeit hoch und die Leute entsprechend arm. Hinter Bou Azzer bekommen wir einige Ausblicke auf die schneebedeckten Gipfel des hohen Atlas. Doch noch sind sie weit entfernt und wir wollen uns noch eine ganze Weile südlich des Gebirgszuges halten. Im folgenden Tal, von Tazenakht nach Foum Zguid, sind einige Straßenstücke vom starken Regen weggespült worden. Diese Stellen umfahren wir auf provisorisch erstellten Umleitungen durch die Oueds. In Foum Zguid machen wir immer im gleichen Straßencafé Pause. Der Wirt erinnert sich an uns und erkundigt sich gleich nach Vronis Genesungsfortschritten. Nachdem er sich unsere Maschinen angeschaut hat, fragt er mich, warum ich die israelischen Aufkleber zugeklebt hätte, letztes Jahr hätte ich das doch nicht getan. Ich lege nur den Zeigefinger auf die Lippen und mache "psssst". Da lacht er laut los und schüttelt den Kopf. Tatsächlich habe ich die Aufkleber unkenntlich gemacht, um in der derzeitigen politischen Situation Ärger zu vermeiden. Doch in Marokko haben wir nichts vom evtl. bevorstehenden Krieg im Irak oder vom eskalierten israelisch/palästinensischem Konflikt mitbekommen. Einige Marokkaner tragen sogar Jacken oder T-Shirts mit dem amerikanischen Sternenbanner.

Auf der weiteren ca. 150 km langen Fahrt nach Tata, begegnen uns keine 10 Autos. Die Sonne steht tief und ein warmer Wind bläst von Süden her. Kahle rotschimmernde Bergrücken säumen unseren Weg. Manche schieben sich wie ein riesiger Schiffsbug auf die Straße zu, wirklich imposant. Ab und zu sehen wir weidende Kamele, die natürlich immer gerade dann die Straßenseite wechseln, wenn wir gerade angefahren kommen. Kurz bevor die Sonne ganz weg ist, erreichen wir Tata. Da es auf dem Campingplatz in Tata nur kalte Duschen gibt, nehmen wir uns lieber wieder ein Zimmer. Im Hotel Renaissance gibt es seit Jahren immer das gleiche Abendessen, Suppe (mit total zerkochten Nudeln), Hühnchentajine mit Reis und Kartoffeln und zum Nachtisch Orangen und Bananen. Deswegen sitzen wir lächelnd am Tisch und warten auf unser Tajine. Doch welche Überraschung, diesmal gibt es Hackfleischbällchen mit Erbsen statt Huhn. Komischerweise bekommen die Gäste an den anderen Tischen aber trotzdem Huhn, komisch?! Seit Zagora bin ich etwas krank, das Einschlafen fällt mir deshalb etwas schwer. Husten, Schnupfen und zum Glück nur abends leichtes Fieber. Trotz der Wärme tagsüber habe ich mir wieder eine Erkältung eingefangen. Zum Glück nicht so schlimm wie vor 2 Jahren, als auch noch die Nebenhöhlen betroffen waren und ich zum damals starken Husten auch noch Durchfall bekam. Es heißt zwar, das beste Mittel gegen Husten sei Durchfall, dann traue man sich nicht mehr zu husten, aber DEM IST NICHT SO ...

Der Himmel ist zwar blau, aber der Wind bläst relativ kräftig, als wir zur nächsten Etappe aufbrechen. Ich kaufe noch schnell Tomaten, Brot und Käse ein, dann folgen wir dem Asphaltband über Akka in Richtung Icht. Biegen dort aber vor der Polizeikontrolle nach Fam el Hisn (Foum el Hassane) ab. Die Strecke von Fam el Hisn nach Assa ist in den meisten Karten noch als Piste eingezeichnet, tatsächlich verläuft hier aber eine gut ausgebaute, aber auch etwas eintönige Straße. Zur Abwechslung folgen wir mal der ein oder anderen Piste, die links und rechts der Straße in schöne Nebentäler führen, bis sie zum Teil im Sand verlaufen. Irgendwann finden wir einen schönen Brotzeitplatz im Schatten einer Arganie. Im Freien schmeckt einfach alles irgendwie besser, auch wenn uns der Wind den Käse vom Brot weht ;-) Als ich Vronis Alukoffer, die unsere Sitzgelegenheit bildeten, wieder an den Träger hänge, bemerke ich, dass die rechte Abstützung des Trägers gebrochen ist. Kein großes Problem, bis Assa hält der Träger bestimmt noch und in der Stadt findet sich sicher ein Schlosser mit Schweißgerät. Dann rumpeln wir wieder über die steinige Piste zur Straße zurück und setzen unseren Weg fort. Assa ist mir letztes Jahr angenehm aufgefallen, als ich alleine unterwegs war. Der Ort war sehr sauber und die Häuser in tadellosem Zustand. Irgendwie wollte ich hier wieder hin. Am Ortseingang werfen uns einige Mädels Kusshände zu, ein netter Empfang. Aber um die nächste Ecke stehen schon einige böse Buben und werfen mit Steinen. "Die Säcke", denke ich, aber kaum bin ich abgestiegen, sind die Kerle auch schon verschwunden. Das einzige Hotel der Stadt liegt etwas abseits und wir müssen den Weg suchen. Schließlich gelangen wir auf ein Schotterstreckchen, das zum Hotel führt. Dieses führt jedoch an einer Schule vorbei und wie üblich sind die Schüler vor der Schule und nicht drinnen. Sofort werden wir von vielen Kindern umringt, die ziemlich aggressiv um Kulis, Bonbons und Geld betteln und dauernd am Gepäck herumzerren müssen. Zum Glück sind auch ein paar Lehrer da, mit deren Hilfe wir wieder "frei" kommen und weiterfahren können. Endlich am Hotel angekommen stellen wir fest, dass die Kröten den Deckel meines Wasserkanisters geklaut haben. Natürlich ist das Teil nicht wertvoll, aber es ärgert mich dennoch tierisch.

Nachdem wir unser Zimmer bezogen haben, fahre ich gleich in den Ort zurück, um Vronis Gepäckträger schweißen zu lassen. An der Schule muss ich mich wieder durch die Kinder und Jugendlichen arbeiten und als ich durch bin, fliegen wieder einige Steine. Zweihundert Meter weiter finde ich gleich eine Schlosserei mit Elektroschweißgerät. Ich baue die entsprechenden Teile ab und der Schlosser will auch gleich losschweißen. Doch der Kunststoffüberzug des Gepäckträgers verhindert den Stromfluss, also muss das Plastik weg. Eine große Flex wird ausgepackt und eingeschaltet. Von der eigentlich dreihundert Millimeter großen Scheibe schauen nur noch fünf bis zehn Millimeter aus der Befestigungsmutter heraus, aber das genügt dem Schweißer, um den Kunststoffüberzug wegzuschleifen - natürlich ohne Schutzbrille. Danach klappt das Schweißen gleich viel besser, zunächst auch wieder ohne Augenschutz. Nach dem ersten Heften wird dann eine alte Sonnenbrille zum Durchschweißen aufgesetzt. Das sind die richtigen Beispiele für die Arbeitsschutzbelehrungen in unserer Firma ... Nach der Reparatur wollen wir noch ein wenig die Gegend erkunden. Es soll hier Felsmalereien und Gravuren geben, die es anzuschauen lohnt. Auf der Fahrt durch den Ort werde ich plötzlich von einem Stein am Hals getroffen. Sofort stoppe ich und will mir die Burschen greifen, doch die verschwinden rasch in einem Haus. Ich bin nahe dran die Tür einzurennen, aber dann habe ich sicher einen Haufen Ärger am Hals. Lieber ruhig Blut bewahren. Mein Hals schwillt an und die getroffene Stelle wird rot und blau. Einige Erwachsene, die herumstehen, zucken nur mit den Schultern. Jetzt habe ich die Schnauze gestrichen voll. So schön Assa in der Erinnerung war, so sehr kann mir der Ort jetzt gestohlen bleiben. Wir machen einen großen Bogen um den Ortskern und fahren an die Tankstelle. Nachdem der Durst der Moppeds gestillt ist, setzen wir uns ins Café der Tankstelle und genießen die Ruhe. Aber irgendwie kann und will ich mich nicht beruhigen. Eigentlich wollten wir ein paar Tage hier bleiben, nun aber will ich nur noch weg aus diesem Kaff. Auf dem Rückweg kommen wir wieder an der Schule vorbei und ich habe mir fest vorgenommen, den nächsten Steinewerfer bis in die Hölle zu verfolgen. Jedoch sind nun kaum Kinder da und die sind zur Abwechslung auch noch friedlich - was sicher besser für uns alle ist ;-)

Normalerweise verfliegt mein Ärger ziemlich schnell, aber am nächsten Morgen schmerzt mein Hals immer noch und ich halte an der Entscheidung fest, Assa zu verlassen. Frühstücken, packen und nur noch weg von hier. Die Landschaft in Richtung Guelmim entschädigt uns für den Ärger in der Stadt. Wir erklimmen den Col d'Amzloug und genießen die schöne Aussicht. Einige Kehren später sind wir im nächsten Tal. Wir biegen in die Piste nach Tadalt ab und lassen die Zweizylinder rennen. In Sichtweite des Ortes nehmen aber die Sandverwehungen zu und werden bei weiterer Annäherung immer tiefer und verspurter. Irgendwann reicht es uns und wir drehen lieber um, bevor wir vielleicht doch noch den Boden küssen müssen. Dann nehmen wir halt doch die Teerstraße. In Guelmim wühlen wir uns durch den dichten Verkehr und wechseln auf die Straße nach Tan-Tan. Die Strecke ist ziemlich windig, Staub und Sand hängen in der Luft. Bis Tan-Tan bleibt die Fahrt unangenehm. Erst als wir Richtung Küste abbiegen, verbessern sich die Verhältnisse drastisch. Unser heutiges Ziel ist El Ouatia (Tan-Tan Plage). Im Hotel Equinox werden wir von den dort bedienenden Mädchen freudig begrüßt. Auch sie erinnern sich an unsere letzten Besuche. Leider ist kein Zimmer mehr frei, aber wir können die Motorräder im Hinterhof sicher abstellen und bekommen nebenan im Hotel Belle Vue unser Zimmer. Nach dem Duschen setzen wir uns auf die Terrasse des Hotels, direkt am Strand. Der Wind hat die Wellen des Atlantiks zu beachtlichen Höhen aufgepeitscht, Möwen kreisen über dem Wasser. Wir sitzen windgeschützt, aalen uns in der warmen Sonne und schauen dem Treiben der wenigen Leute am Strand zu. So kann man es wirklich aushalten. Abends essen wir im Freiluftrestaurant des Hotels. Das Essen im Equinox ist wieder super, sowohl was Quantität als auch die Qualität angeht. Nachdem wir uns den Ranzen randvoll gefr... haben (gefüllter Fisch, Couscous) und wir uns kaum noch rühren können, sagt Vroni nur noch: "Das nächste Mal fahren wir wieder nach Syrien, da bekommt man nur tote Schafsköpfe mit Glubschaugen hingestellt!"

El Ouatia war unser südlichster Punkt auf der Karte, ab heute zieht es uns langsam wieder nach Norden. Zunächst müssen wir noch mal die ätzende Strecke nach Guelmim meistern. Da heute jedoch der Wind ausbleibt, ist es doch nicht ganz so schlimm mit der Fahrerei. Die Strecke nach Tiznit gefällt uns da gleich viel besser. Viele Kurven tragen uns einen ca. 1.000 m hohen Pass hinauf. Zwischen den Steinen der umgebenden Berge wuchern die verschiedensten Kakteen und überziehen das Land mit verschiedenen Grüntönen. Hinter der Passhöhe rasten wir. Während ich einige der stacheligen Pflanzen fotografiere, kommt ein junges Mädchen und möchte, dass ich auch ihre Schafe auf die Platte banne. Ich schleiche mich näher an die wolligen blökenden Tiere heran, doch so richtig kann ich ihnen nicht auf den Pelz rücken, die Fluchtdistanz ist für Haustiere relativ groß. Dafür darf ich das Mädchen fotografieren, das mich danach um Brot bittet. Wir haben noch ein halbes Fladenbrot dabei und ergänzen es mit ein paar Müsliriegeln. Als wir weiterfahren, winkt uns das Mädel noch lange nach. Kurz vor Agadir biegen wir Richtung Flugplatz ab und folgen der vierspurigen autobahnähnlichen Straße nach Osten. Auch hinter dem Airport geht die Straße noch viele Kilometer weiter, in unseren Karten ist die Strecke überhaupt nicht eingetragen. Neben der Straße ziehen sich Wiesen und Obstplantagen hin. Zahlreiche Ausflügler säumen den Straßenrand. Für uns unverständlich, warum sie gerade direkt an der "Autobahn" ihr Picknick machen. Viel schlimmer sind jedoch die Fußgänger und Radfahrer auf der Strecke. Letztere fahren natürlich meist entgegen der Fahrtrichtung und viele kreuzen einfach die Straße und achten nicht auf den schnellen Verkehr. Es kommt zu einigen gefährlichen Situationen zwischen den Radfahrern und den Autos. Selbst wir müssen einige Vollbremsungen hinlegen, obwohl wir unsere Geschwindigkeit schon drastisch gesenkt haben und versuchen möglichst vorausschauend zu fahren. Aber wenn z. B. ein Mofa direkt vor einem völlig unvermittelt und grundlos vom Randstreifen quer über sämtliche Fahrspuren rüberzieht, kann man noch so vorsichtig sein. Auf jeden Fall soll diesmal das erste und letzte Mal sein, dass ich mit einem serienmäßigen Auspuff nach Nordafrika fahre. So viele gefährliche Situationen wie auf dieser Tour hatte ich mit einem "lauten" Motorrad nie gehabt. Anscheinend reagieren die Leute nur auf Gehör und schauen sich nicht um, ob ein Fahrzeug kommt.

Die Stadt Taroudannt ist von einer sieben Kilometer langen Mauer umgeben. An dieser fahren wir entlang und suchen das richtige Tor, um möglichst stressfrei zu unserem Hotel zu kommen. Wir folgen der Ausschilderung und zwängen uns im Schritttempo durch die überfüllten Gassen. Wie wir später feststellen, haben wir den zweitbesten Weg zum Hotel gefunden, es gibt noch einen kürzeren mit breiteren Wegen. Egal, ab unter die Dusche und dann hinein ins Gewühl, aber diesmal zu Fuß. Wir kommen nicht weit, da werden wir schon von einem Kutscher angesprochen. Wir einigen uns auf eine Stadtrundfahrt und handeln den Preis aus. Das heißt mit handeln ist eigentlich nichts, da es eine offizielle Preisliste dafür gibt. Dann lassen wir uns mächtig schaukelnd, aber stressfrei die Stadt zeigen. Zunächst geht es auf die Außenseite der Mauer, wo die "Paläste" der Verwaltung stehen und es einen großen Garten gibt. Dann werden wir wieder in die engen Gassen kutschiert. An der großen Kasbah vorbei mitten in die übervölkerte Medina. Viele Geschäfte und Garküchen säumen den Weg. Zahlreiche Menschen schieben sich durch die Gassen, ein schier unüberschaubares Gewirr. Am Eingang des Berber-Souks endet die ca. 35 Minuten lange Tour. Hier gibt es auch einige Orangenstände, wie in Marrakech, wo man frisch gepressten Orangensaft bekommt. Überhaupt hat Taroudannt vieles mit Marrakech gemeinsam, es ist nur alles etwas kleiner und bescheidener. Sehr angenehm ist, dass wir so gut wie nie von irgendwelchen "Guides" angesprochen werden. Und wenn doch, dann genügt eine freundliche Absage und man ist sie wieder los. Da die Sonne gerade am Horizont verschwunden ist, verschieben wir den Besuch des Souks auf morgen und suchen uns ein kleines Lokal zum Abendessen.

Nach dem Frühstück besuchen wir kurz ein Internet-Café, um uns wie üblich zuhause zu melden. Dann drängen wir uns durch die Gassen zum Berber-Souk. Bevor wir im Getümmel des Souks verschwinden, gönnen wir uns natürlich noch einen frisch gepressten Saft. Der Souk ist überdacht und deshalb etwas dunkel. Aber hier und da kommen doch vereinzelte Sonnenstrahlen durch und der ständige Wechsel von Hell und Dunkel gibt dem Markt einen ganz besonderen Flair. Zu Beginn werden Plastikgerätschaften wie Schüsseln und Körbe angeboten. Die meisten Sachen in leuchtendem blau. Dann kommen einige Friseure und bei der Gelegenheit lasse ich mir gleich mal die Bartstoppeln entfernen. Am schönsten ist es bei den Gewürzhändlern. Nicht enden wollende Haufen in allen Gelb- und Rotschattierungen. Der Geruch beißt in der Nase, ist aber nicht unangenehm. Einer der Händler spricht etwas deutsch und erklärt uns, für welche Speisen man welche Gewürze benutzt. Außerdem präsentiert er uns auch zahlreiche Heilmittelchen und lässt mich auch gleich eines gegen meinen Schnupfen ausprobieren. Auch der sich anschließende Marktteil mit Gemüse und Obst ist interessant. Tonnenweise werden die verschiedensten Olivensorten angeboten. Zwiebel, Kräuter, Karotten, Radieschen, Tomaten und vieles mehr ist auf den Tischen aufgehäuft. Kleine marokkanische Bananen wechseln sich ab mit Orangen, Mandarinen und Nüssen. Hinter einer Ecke, man riecht es gleich, wird Fisch feilgeboten. Die Fleischstände sind nicht so ganz mein Fall. Hühner und Enten hängen mehr oder weniger gerupft über den Theken. Ziegen- und Schafshälften werden neben riesigen Rinderkeulen angeboten, schnell weiter. Vroni macht das nichts aus, für sie ist das Fleisch in Marokko das leckerste was es gibt. Am anderen Ende des Souks werden wieder mehr oder weniger praktische Dinge angeboten. Aus alten Autoreifen werden Futterschüsseln für Tiere hergestellt, Metallschüsseln, Waagen, Nägel und Plastikspielzeug wechseln sich ab. Auch einige aufblasbare Nikoläuse werden feilgeboten. Wir schlendern wieder zurück zu den Saftständen und nach einem frischen Drink lassen wir uns noch mal von einer Kutsche durch die Stadt fahren. Gegen Abend laufen wir durch die Gassen der Medina. Es ist hier fast lebensgefährlich. Zahlreiche Radfahrer fahren wie Rennfahrer durch das Gewühl, rempeln mal hier und streifen mal dort die Fußgänger. Dazwischen zwängen sich hupend Autos und kleine Lastwagen durch das Gewühl. Ständig müssen wir ausweichen oder zur Seite springen. Schließlich erreichen wir unverletzt den großen Hauptplatz mit seinen zahlreichen Restaurants und Cafés. Ähnlich wie in Marrakech, laufen auch hier Wasserverkäufer herum und es gibt, wenn auch nur in Ansätzen, einige "Schausteller" wie Gaukler und Wunderheiler. Leider sind hier am Platz auch die Preise wie in Marrakech, was man vom Rest der Stadt eigentlich nicht sagen kann.

Um weiter nach Norden zu kommen, müssen wir den hohen Atlas überwinden. Nach den Erfahrungen von der Anfahrt, sollte selbst in größeren Höhen kein Schnee zu erwarten sein. So entscheiden wir uns für die Fahrt über den 2.100 m hohen Tizi-n-Test. Wir verlassen Taroudannt Richtung Osten und fahren zunächst auf einer gut ausgebauten Straße. Linkerhand säumen Orangenplantagen unseren Weg, mit ihren reifen, hell leuchtenden Früchten. Dahinter sieht man die schneebedeckten Gipfel des Djebel Aoulime (3.555 m) und des Djebel Tichka (3.350 m). Dann zweigen wir auf das schmale Sträßchen zum Tizi-n-Test ab. Das Asphaltband misst nur anderthalb Autobreiten, dafür sagt uns ein Schild 120 km kurvenreiche Strecke voraus! Wir zirkeln den Weg hinauf, genießen die phantastischen Aussichten und wundern uns über die Palmen, die hier selbst in großen Höhen stehen. Das hier trotz der Abgeschiedenheit mit Tourismus gerechnet wird, zeigt uns ein Schild in deutscher Sprache, das für ein Restaurant mit gutem Essen und super Aussicht wirbt. Momentan ist aber so gut wie nichts los auf dem Pass. Auf der Passhöhe trinken wir einen Café au Lait und bekommen dazu Weihnachtsplätzchen serviert. Den Service müssen wir aber auch teuer bezahlen, kostet hier oben der Kaffee gleich mehr als das doppelte des üblichen Preises. Die Kurven der Nordrampe sind nicht ganz so eng wie im Süden, aber dennoch super zu fahren. Diese Seite ist auch grüner, was sicher an den reichlichen Wasserläufen liegt, die ins Tal hinab führen. Wir passieren ein altes Kloster und folgen dem Bett des Oued Nfiss. Ab Tahanoute lassen wir die Kurven hinter uns und rollen kerzengerade nach Marrakech hinein. Dank der Landkarte im GPS wuseln wir wir leicht durch den dichten Verkehr und finden ohne Umstände die richtige Ausfallstraße. Nach einigen Kilometern verlassen wir die P24 und fahren auf einer Nebenstraße weiter. Wir durchqueren eine riesige Ebene, auf der weite Felder angelegt wurden. Der Boden ist dunkel, nass und schlammig. Keine Chance um für eine Brotzeit von der Straße wegzukommen. Da hier kaum Verkehr ist, bleiben wir einfach am Straßenrand stehen. Kaum stehen wir, kommen natürlich dauernd LKW vorbeigedonnert, die natürlich möglichst dicht an uns vorbei fahren und zum Gruße immer laut hupen müssen. Als wir die Wasserfälle von Ouzoud erreichen, ist die Sonne schon fast verschwunden. Leider ist es jetzt zu dunkel zum fotografieren und uns wird auch langsam kühl. Im Dunkeln erreichen wir Azilal und nehmen uns ein Zimmer im "besten Hotel der Stadt". Die Motorräder stellen wir ein paar Meter neben dem Hotel in einem Sanitärgeschäft zwischen Kloschüsseln und Kacheln ab, Hauptsache sicher. Das Zimmer ist ja noch ganz nett, aber es gibt nur kalte Duschen und das Restaurant hat geschlossen. So tippeln wir durch die kalte Nacht uns suchen uns eine Garküche an der Hauptstraße.

Vormittags passieren wir den Stausee Bin-el-Ouidane. Die Staumauer ist vom Militär schwer bewacht, die Soldaten winken uns aber freundlich zu. Wir fahren auf der Staumauer ans Nordufer und folgen der Kontur des Sees. Ein Stück weit kommen wir uns vor wie am Gardasee, doch schon bald wendet sich die Straße vom Wasser ab und trägt uns wieder in die Berge des mittleren Atlas hinauf. Die Bauern pflügen mit Holzpflügen den steinigen Boden um, das Brot wird hier hart verdient. Dennoch scheint es wenigsten genug Wasser zu geben, die Hügel sind grün und das Flussbett gefüllt. Um wieder auf die P24 zu kommen, queren wir den über 1.900 m hohen Tizi-n-Âït-Ouirra. In einem Dorf hinter dem Pass ist gerade Markt. Über hundert Esel stehen auf einer Art "Parkplatz" und warten geduldig auf ihre Besitzer die auf Einkaufstour sind. Im Schritttempo wühlen wir uns durch das Gedränge, das die Hauptstraße durch den Ort fast völlig blockiert. In einem Café in El-Ksiba leisten wir uns noch einen Tee a la Menthe, bevor uns die große Straße nach Khénifra aufnimmt. Hatten wir auf dem Weg durchs Gebirge kaum ein Stück gekriegt, so läuft es auf der gut ausgebauten P24 um so schneller. Kurz vor Khénifra sehen wir auf einer Wiese zig Störche stehen. Ich versuche mich zum Fotografieren heranzupirschen, doch die Vögel sind ziemlich scheu und fliegen recht schnell auf. Bei der Weiterfahrt sehen (und riechen) wir auch den Grund für die zahlreichen Langschnäbel, die Müllhalde von Khénifra bietet ihnen anscheinend reichlich Futter. Je näher wir Azrou kommen, desto bewaldeter werden die Hügel. Noch ein paar Kurven und wir haben unser Tagesziel erreicht. Wir mieten uns wieder im Hotel Azrou ein und freuen uns schon auf unser Abendessen am Marktplatz.

Von Azrou bis Ceuta ist es zwar nicht so weit, aber vor dem Dunkelwerden schaffen wir die kurvenreiche Strecke nicht. Wir beschließen in Ouazzane noch einen Zwischenstopp einzulegen. Zeit genug also, um auszuschlafen und vor der Abreise noch ein paar Souvenirs im Kunsthandwerkszentrum zu kaufen. Hinter Meknes wird die Straße wieder richtig kurvig. Wir passieren die heilige Stadt Moulay-Idriss, in die noch vor nicht allzu langer Zeit keine Ungläubigen reisen durften. Gleich dahinter liegen die römischen Ruinen von Volubilis. Doch die angeblichen Führer sind uns zu aufdringlich und wir haben keine Lust für den Ärger auch noch Geld zu bezahlen, zumal man sich an anderen Orten völlig unbeschwert Reste der römischen Kultur anschauen kann. Da verzichten wir lieber und düsen weiter. Wir überqueren die Autobahn von Rabat nach Fès und etwas später auch eine neue zweigleisige Schienentrasse, die glatt der heimischen ICE-Strecke Konkurrenz machen könnte. Durch weite grüne Felder und vorbei an riesigen Pfützen erreichen wir am frühen Nachmittag Ouazzane. Während Vroni im Café wartet, klappere ich die Hotels ab, um uns ein nettes Zimmer zu suchen. Doch warmes Duschwasser ist kaum vorhanden und erst recht kein sicherer Platz für die Moppeds. Da eilt uns der Kellner des Cafés zu Hilfe und zeigt mir ein sauberes Hotel mit Unterstellmöglichkeit für die Zweiräder. Wir einigen uns auf teure 200 Dirham und gehen zurück um die Moppeds zu holen. Zunächst müssen wir ein paar Treppenstufen hinunter, dann 90° nach links in einen schmalen Hausflur hinein. Dazu muss ich die Koffer abbauen. Am Ende des Flurs geht es noch mal 90° nach links und auch gleich noch eine Stufe abwärts, dann stehen wir im Salon des Hotels, wo die Moppeds dann abgestellt werden. Kaum sind wir eingezogen, steigt der Preis auch gleich auf 250 Dirham. Sauerei, aber jetzt habe ich auch keine Lust mehr wieder auszuziehen, zumal es hier im Ort auch keine vergleichbare Bleibe mehr gibt. OK, dann hat der Hotelier einmal ein Geschäft gemacht, zukünftig komme ich aber nicht mehr hierher und werde auch jedem von diesem Laden abraten. Wenigstens ist die Dusche heiß. Den ganzen Nachmittag laufen wir durch den Souk, der an einem steilen Berghang liegt. Eigentlich ist der Ort ja ganz nett und auch die Leute lassen einen in Ruhe. Niemand zieht uns in sein Geschäft oder will sich als Führer anbieten. Macht richtig Spaß, sich mal unverbindlich umschauen zu können. Abends essen wir im Freien, auf der Terrasse eines Restaurants. Von allen Seiten zieht der Geruch von Hasch-Zigaretten zu uns - klar, wir sind ja auch im Rif-Gebirge.

Schon um 07:00 Uhr morgens verlassen wir das Hotel. Die Moppeds rauswuchten und die Treppen wieder hinauffahren geht besser als erwartet. Es ist dunkel und kalt, 4,5°C zeigt mein Thermometer an. Die Kurven reihen sich nur so aneinander und es kommt uns ewig vor, bis es endlich hell und mit der Sonne auch langsam wärmer wird. Erst hinter Chefchaouen setzen wir uns zum Frühstücken in ein Straßencafé. Danach geht es gleich viel besser weiter. Die baustellenreiche Umfahrung von Tetouan versucht uns zwar noch etwas aufzuhalten, schafft es jedoch nicht uns aus der Ruhe zu bringen. An der Grenze zu Ceuta gibt es dann auch noch einen Stau, der uns aber auch kaum aufhalten kann. Dafür ist am Ausreiseschalter kaum was los, so dass wir schnell weiter kommen - denken wir ... Als wir die Fahrzeuge aus dem Pass austragen lassen wollen, fehlt bei meinem grünen Zettel von der Einreise eine Nummer. Ich muss mich noch mal auf der Einreiseseite anstellen und die Sache klären lassen. Dann wieder ab zum Ausreiseschalter und endlich flutscht es. In Ceuta tanken wir zollfrei voll, bevor wir die Fähre entern. Genauso schnell wie bei der Herfahrt überqueren wir auch jetzt wieder die Meerenge. Bei der Hafenausfahrt werden alle Fahrzeuge von Rauschgifthunden abgeschnüffelt, uns winken die Zöllner einfach durch. Wir fahren einen Bogen um Algeciras und reihen uns in die Schlange nach Gibraltar ein. Da wir hier nach Großbritannien einreisen, müssen alle den Reisepass vorzeigen und das dauert. Dann kurven wir zur Felsspitze hinauf. Um das letzte Stück hinauf zu kommen, sollen wir insgesamt 30 € bezahlen. Nö, das ist uns entschieden zu teuer. Wir fahren auf der anderen Seite wieder hinunter und mit dem Ausreisestau verlassen wir "England" wieder. Wir biegen auf die Küstenstraße und rollen genüsslich Richtung Almeria.

Die Sonne brennt, die Berge der Sierra Nevada haben weiße Gipfel und von rechts rollt das Meer an die Küste. Die Melodie von Hotel California geht mir durch den Kopf und ich lege die Twin tief in die zahlreichen Kurven. Im Moment gibt es für mich nichts schöneres ...